Im Tempel des Regengottes
Druckwelle über den First des Palastes raste, Äste, Leiber, Steinbrocken umherwirbelnd. Weitere Kanonenschläge, unter denen die Ka'ana erzitterte. Schreie aus Zehntausenden von Kehlen. Vor Roberts Augen wurde Ajkinsaj von den Füßen gerissen, ebenso wie Stephen und Miriam. Nur er selbst blieb noch einen traumhaft verlangsamten Moment stehen, mitsamt seiner hölzernen Trage an der Pyramidenwand lehnend. Dann kippte er seitlich um und schlug so hart auf dem Boden auf, zwischen Stephen und dem obersten Regengottpriester, daß er vollends die Besinnung verlor.
8
»Hörst du, Helen? Sie sind schon da.« Ixnaay sah sie aus weit geöffneten Augen an, ihr Gesicht war grau geworden, fahler, als Helen es bei einer so dunkelhäutigen Frau je für möglich gehalten hätte. »Die Soldaten«, murmelte sie. »Das große Schlachten - jetzt ist alles zu spät!«
Wie die schöne India zwischen den Säulen stand, unweit der Treppe zum Fluß hinauf, mit aufgelösten Haaren, die weiße Tunika mit Staub befleckt, erschien sie Helen mit einem Mal wie eine tragische Gestalt aus einem romantischen Drama - eine edeldenkende Herrscherin, schuldig geworden aus Schwermut und Bitterkeit.
Abermals krachte ein Kanonenschlag. Die Wucht der Detonation ließ selbst das Mauerwerk ihres unterirdischen Tempelsaals erbeben. Steinbrocken lösten sich von der Decke und prasselten auf Altar und Boden, und die Fackeln flackerten, als wären Dämonen in die Flammen gefahren.
»Wir müssen raus hier, bevor alles zusammenstürzt!« Helen glitt, so rasch ihr verletzter Fuß es erlaubte, vom Mondstein hinab. Sie zitterte am ganzen Leib, zweifach verstört durch Ixnaays Enthüllungen und durch die infernalischen Kanonenschläge, die nun schon in ununterbrochener Folge dröhnten. Schreie drangen zu ihnen herab, Gewehrschüsse, Kampfgebrüll, gedämpft durch das Mauerwerk, aber zugleich ins Unheimliche verfremdet, wie innerirdische Urgewalten.
»Wie kommen wir am schnellsten ins Freie - über diese Treppe?« Sie humpelte auf Ixnaay zu, mit der Linken auf den Treppenschacht hinter ihr deutend. Mit der anderen Hand wollte sie die India am Arm nehmen und mit sich ziehen, aber Ixnaay wich ihr aus und ging mit schleppenden Schritten zurück zum Altar. Steinbrocken lösten sich von der Decke und fielen um sie herum zu Boden, krachend wie Geschosse, doch Ixnaay schien sie kaum wahrzunehmen.
»Die Heilzauber Ixquics«, sagte sie, so matt und tonlos, daß Helen sie nur mit Mühe verstand. »Ihr werdet sie brauchen, dringender als alles andere. So war es immer schon: Nach dem Schlachten kommen sie angekrochen, und wir...« Ixnaay verstummte mitten im Satz und brach in die Knie, einen halben Schritt vor dem Altar. Weitere Steinbrocken lösten sich von Wänden und Decke und stürzten polternd auf den Boden um sie herum oder zerplatzten auf der Oberfläche des Altars.
»Komm zurück, Ixnaay!« Helen stand wie erstarrt zwischen den Säulen, die in diesem Teil des Saals die Decke noch halbwegs sicher trugen. Sie wagte nicht, der India zu Hilfe zu eilen, die in einer Wolke aus Staub am Boden kniete, mit beiden Händen auf den Altar gestützt. »Du bringst dich um!«
In der Decke über dem Mondstein hatte sich ein Krater geöffnet, der in unabsehbarer Folge Geröllbrocken, Erdklumpen, zersplittertes Gebälk in die Tiefe spie. Ohne auf den niedergehenden Hagel oder auf Helens verzweifelte Rufe zu achten, kletterte Ixnaay mit offensichtlicher Mühe auf den Altar und begann auf Händen und Knien über die sichelförmige Fläche zu kriechen.
Weitere Kanonenschläge, unter denen das zweitausendjährige Mauerwerk wie in Krämpfen erzitterte. Unbeirrt kroch Ixnaay über den Altarstein, bis zur ungefähren Mitte des steinernen Mondes. Mit einer Hand schob sie Geröll und Erdbrocken zur Seite, mit der anderen hob sie eine kleine Steinplatte aus der Oberfläche des Altars heraus. Der Krater über ihr spie einen weiteren Schwall Trümmer und Erde hinab, ein kindskopfgroßer Brocken fiel auf ihre Schultern, doch glücklicherweise war es nur ein Erdklumpen, der unter dem Anprall zu Staub und Krumen zerstob. Ixnaay griff in die freigelegte Höhlung und holte zwei Händevo ll winziger Amphoren und Tiegel hervor. Sie hob den Saum ihrer Tunika, ließ den leise klirrenden Schatz hineingleiten und kroch eilends über den Altar zurück, indem sie den Saum ihres Gewandes mit den Zähnen hielt.
»Mach schnell«, drängte Helen, »wir müssen hier raus!« Weitere qualvolle Sekunden
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