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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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seiner Stirn begann ein heftiger Schmerz zu klopfen. Im Dickicht, zwei Fuß vor ihm, glaubte er ein Tappen und Knacken zu vernehmen, wie von Tatzen, die über Laub und Reisig schleichen, doch als er nochmals lauschte, mit angehaltenem Atem, war im Unterholz kein Laut zu hören. Mehrfach schloß er die Augen und öffnete sie wieder, dann endlich war es vorbei. Die Bestie hatte sich zurückgezogen, doch er spürte, daß sie jederzeit zurückkehren könnte.
    Er sah um sich, und zum ersten Mal nahm er Einzelheiten der Wildnis war. Mücken tanzten in hellen Schwärmen über den Schlammlöchern, mit denen der Fahrweg übersät war. Zwischen Zweigen und modrigem Laub am Boden huschten kleine Tiere umher, schwarze Spinnen mit haarigen Kugelleibern und fingerlange, leuchtend grüne Insekten, deren Fühler unablässig zitterten. Zum ersten Mal fiel ihm auch auf, wie still es hier war, eine unheimliche Ruhe, dachte er, um so beklemmender, als er erwartet hatte, daß der Urwald von vielerlei Lauten erfüllt wäre, vom Gezeter der Spinnaffen, von heiseren Schreien der Brüllaffen und dem Gekreische schillernd bunter Papageien. Doch außer dem Surren der Mücken und dem schmerzhaften Pochen hinter seinen Schläfen waren keine Geräusche zu hören.
    Zehn Schritte rechts von ihm kauerte Henry am Boden, mit beiden Händen in seinem Bündel grabend. Neben ihm stand Mabo, mit ausdrucksloser Miene, an den gesenkten Hals eines Wallachs gelehnt, dem er Unhörbares ins zuckende Ohr summte. Als wäre er bisher mit Blindheit geschlagen gewesen, bemerkte Robert nun auch erst, wie zerlumpt Mabos bunte Kleidung war. An den nackten Füßen trug er Riemensandalen, die aus uralten Lederresten gebastelt schienen, auf dem Leib ein ausgeblichenes Hemd, das mehr Löcher als Stoff aufwies, und ebenso fadenscheinige Hosen, die handbreit über den Knien endeten. Wie herzlos von Paul und Stephen, ihren Diener derart zerlumpt herumlaufen zu lassen, dachte er, während Paul, seinen Koffer schwenkend, mit raschen Schritten auf Mabo und die Pferde zuging, gefolgt von Stephen, der den Seesack geschultert trug.
    Die beiden befahlen ihrem Diener, die Gepäckstücke aufzuladen, dann wandten sie sich um und kehrten im Laufschritt zur Kutsche zurück. Robert überlegte noch, ob er aus dem Schatten treten, zu ihnen hinübergehen sollte, da hatten sie die Kutsche schon vorn und hinten gepackt, wippten den unförmigen Kasten ein paarmal hin und her und wälzten ihn über die Felskante.
    Da erst setzte sich Robert in Bewegung, er eilte über den Fahrweg, trat an den Rand der Schlucht und spähte hinab. Die Kutsche raste in die Tiefe, nahe an der Felswand, wobei sie sich wieder und wieder überschlug. Wenn sie mit der Gabel oder einem Eisenrad an den Felsen schrammte, erklang ein furchtbares Knirschen und Krachen, das von den Schluchtwänden widerhallte, und Funken sprühten auf, in grellen Garben, wie der Schweif eines herniederschießenden Meteors. Endlich prallte der Kasten, schon weit unten, auf einen Baum mit ausgreifendem Astwerk, in das er wie in einen gezähnten Rachen hineinfuhr. Ein letztes Knirschen und Splittern, dann kehrte wieder Stille ein.
    Von der Kutsche war nur noch ein schimmernd schwarzes Brett zu sehen, hundert Schritte tief ins Astwerk gebettet, als sollte es das Schicksal aller Urwaldbäume vor Augen führen: ihre Verwandlung in Kutschen-oder Sargholz.

3
     
     
    Auf dem bloßen Pferderücken zu reiten, ohne Sattel und Zaumzeug, war für Robert eine kaum erträgliche Qual. Er war niemals ein guter Reiter gewesen, im Unterschied zu seiner Schwester Madge, die schon als kleines Mädchen regelrecht in Pferde vernarrt war. Ihn dagegen graute es seit jeher vor diesen großen, allzu feinnervigen Tieren, deren Erhabenheit jederzeit in Hysterie explodieren konnte, einem Inferno aus zermürbendem Wiehern und wirbelnden Hufen, aus Augenrollen und gräßlich gefletschten Zähnen.
    Unglücklicherweise spürten die meisten Pferde Roberts Abneigung, so daß selbst phlegmatische Mähren eine ungewohnte Reizbarkeit an den Tag legten, sowie er ihren Rücken erklomm. Auch der Wallach, auf dem er seit einer halben Stunde dahinritt, schien mit seinem Reiter zu hadern. Immer wieder warf er den Kopf empor, schnaubend und tänzelnd, so daß Robert sich nur mit Mühe auf dem glatten, schweißnassen Rücken hielt. Seine Schenkel brannten, so krampfhaft umklammerte er den Pferdeleib, und die Schultern schmerzten ihn, da er weit vorgebeugt saß und sich mit beiden Händen

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