Im Tempel des Regengottes
lief.
Sein Pferd schnaubte, aber das hatte er sich vielleicht nur eingebildet. Der tosende Regen übertönte jedes andere Geräusch, außer dem Donner, der metallisch klang wie gigantische Gongschläge. Die Gewalt des Unwetters schien immer noch zuzunehmen, mit hellem, gleichmäßigem Singen, als ob straff gespannter Draht zerspringe, rauschte das Wasser hernieder, und über die Schlammtümpel, mit denen der Fahrweg übersät war, wölbten sich kleine Regenböge n. Auf einmal spürte Robert, wie sich der Wallach in Bewegung setzte. Im ersten Erschrecken griff er nach dem Zügel, denn zu sehen war immer noch nichts, und höchstens fünf Schritte linker Hand verlief die Schlucht. Da bemerkte er einen schlanken Schatten, der sich zu ihm herüberbeugte, und spürte warmen Atem an seinem linken Ohr, und eine junge, ein wenig rauhe Stimme sagte:
»Laß mich dein Pferd führen, Herr. Sieh, dort beginnt der Pfad.« Und ein schemenhafter Arm tauchte aus Dunst und Dunkelheit und deutete nach rechts, auf das in Dampf gehüllte Dickicht, in dem Robert eben noch ein mageres, fuchsrotes Pferd verschwinden sah.
4
Am späten Nachmittag des 28. Juli, nach mehr als vierstündigem Ritt durch Sümpfe, Schluchten und Dickicht, erreichten sie den Gipfel eines steilen, schier undurchdringlich bewaldeten Berges, wohl tausend Fuß oberhalb von Victoria Camp. Die Anhöhe war flach wie eine Tafel und mochte in der Länge zweihundert Schritte messen, in der Tiefe aber höchstens hundert Fuß. Eine gewaltige Ceiba, der heilige Baum des alten Volkes, den Catherwood so häufig gezeichnet hatte, erhob sich inmitten der langgestreckten Fläche, die federartigen Blätter flirrend im Gegenlicht. Obwohl Robert sich so erschöpft und zerschunden fühlte, daß ihn seit wenigstens einer Stunde nur noch seine vielfältigen Schmerzen wachzuhalten vermochten, begann beim Anblick dieser Stätte sein Herz schneller zu schlagen. Von hier oben ging der Blick weit über den dampfenden Dschungel, und der Himmel schien auf einmal offen und nahe gerückt. Während er von seinem Wallach rutschte und zu Füßen der Ceiba auf einen Steinbrocken sackte, dachte er, daß sie sich möglicherweise auf dem Dach eines gewaltigen Mayapalastes befanden, der seit einem Jahrtausend immer tiefer in der Erde, unter Moos und Dickicht versank.
Stephen und Paul waren von ihren Pferden gestiegen und gleich an den Rand der Anhöhe getreten, wo sie abwechselnd aus der blechernen Wasserflasche tranken. Auch sie sahen zerschunden aus, Gesichter und Arme von Insekten zerbissen, von Dornen und Zweigen zerkratzt. Jedoch wirkten die beiden nicht halb so zerschlagen, wie Robert sich fühlte, der im Verlauf ihres Rittes mehrfach vom Pferd gestürzt und einmal so hart auf einen Stein geschlagen war, daß er ohnmächtig liegenblieb.
Nun saß er unter der Ceiba und sah zu, wie Mabo und Henry die Packstücke von ihren Pferden luden und ins Gras gleiten ließen. Auch die beiden jungen Diener wirkten längst nicht mehr so munter wie vor Stunden, Mabos dürftige Kleidung womöglich noch verschlissener und zerlumpter, und doch schienen die Strapazen ihres grauenvollen Rittes durch Morast und Dickicht ihnen nur wenig zugesetzt zu haben. Er würde sich niemals mehr von der Stelle rühren, beschloß Robert, nie mehr auch nur einen Muskel bewegen, zumal es an seinem Körper keine einzige Stelle gab, die nicht brannte, blutete, klopfte oder auf andere Weise schmerzte. Besonders die Innenseiten seiner Schenkel fühlten sich an, als wären sie gehäutet und anschließend gepfeffert worden, und in seinem Kopf erklang ein fortwährendes dumpfes Dröhnen.
Schulter an Schulter standen Paul und Stephen am Rand der Anhöhe und sahen auf das Camp hinunter, wobei sie sich mit gedämpften Stimmen berieten. Offenbar sollte er nicht hören, was sie besprachen, doch in diesem Moment war es Robert gleich, ja er war ihnen dankbar, daß sie ihn mit keinerlei Plänen behelligten. Bisher hatte er noch nicht einmal einen Blick auf das Camp geworfen, das nach Stephens Schilderung weitläufig sein mußte, eine Stadt im Dschungel, die ständig mehrere hundert Holzfäller beherbergte.
Eine Mücke sirrte herbei und zwang ihn, zumindest eine Hand zu bewegen. Sein Hemd und seine Hose waren immer noch klamm vom Sturzregen, der wenigstens eine Stunde angedauert hatte, von Dornen zerfetzt und starrend vor Schmutz und Schweiß. Aber auch diese kleinen Widrigkeiten waren ihm in diesem Moment völlig gleich. Tief in sich
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