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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ging.
    Gestern abend, dachte Robert, hatte Mabo ihnen nach allem auch noch ein kleines Mahl bereitet, Pökelfleisch und einen Kanten hartes Brot, das er, schon in seiner Hängematte liegend, mit blechern schmeckendem Wasser heruntergespült hatte. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er dem Mestizen nicht einmal gedankt, da er gleich darauf eingeschlafen war.
    Als er sich aufrichtete, protestierten seine Muskeln in Schultern und Beinen mit brennendem Schmerz. Er humpelte zur Tür und musterte widerwillig seine Bekleidung, die einzig aus schmutzstarrendem Unterzeug bestand. Undeutlich erinnerte er sich, daß er sich gestern abend sein durchnäßtes Hemd und die schlammverkrustete Hose noch vom Leib genestelt hatte. Ihn schauderte bei dem Gedanken, daß er diese Kleidungsstücke nachher wieder überziehen mußte. Henry, dachte er, soll die Sachen waschen, aber wie er auch um sich blickte, von dem Jungen war auf der ganzen weiten Anhöhe nichts zu sehen. Verdammter Bursche!
    So leise er aus der Tür getreten war, Mabo hatte ihn doch gehört. Er wandte sich um, und Robert wunderte sich über seine angespannte Miene, der Mestize wirkte bedrückt, ja angsterfüllt.
    »Was ist los?« fragte er, indem er neben ihn trat.
    Mabo streckte wortlos den Arm aus, und Robert schaute in die gewiesene Richtung, zum Camp hinab. Er beschirmte die Augen gegen die Sonne, doch zu erkennen war trotzdem nichts, nur ein weiter freier Platz in tausend Fuß Tiefe, umstanden von Hütten und länglichen Schuppen, und ein Gewimmel winziger Gestalten, die auf dem Platz wild durcheinanderliefen. Auch die Stimmen, die von unten heraufschallten, klangen erregt und zornig, aber zu verstehen war gar nichts, nicht einmal Satzfetzen, aus denen sich irgend etwas zusammenreimen ließe.
    »Was mag da unten los sein?« fragte er, und der Mestize ließ die Fäuste umeinander wirbeln, sah Robert düster an und sagte:
    »Kampf.«
    Kampf - das Wort hallte in ihm nach. Es war nur zu wahrscheinlich, dachte er, daß die Unruhe dort unten von den Soldaten ausging, die im Lager nach ihm suchen mochten. Und er stand hier ruhig am Rand der Anhöhe, mühelos zu entdecken für jeden dort unten, der einen Feldstecher besaß!
    Er faßte sich an die Stirn, hinter der immer noch leise der Schmerz pochte. »Das Fernglas«, sagte er, »in Pauls Koffer - hol es, Mabo, schnell!«
    Der Mestize eilte in die Hütte und kehrte gleich zurück, in der Hand das zerkratzte Rohr. Robert war unterdessen neben die Ceiba zurückgewichen, in der Hoffnung, daß er aus der Entfernung mit dem riesigen Baum verschmolz. Er hob das Glas an die Augen und stellte es scharf, dann schwenkte er langsam über den weiten Platz, auf dem mehrere hundert Menschen versammelt sein mochten, überwiegend Männer, bärtig, in derber Tracht, aber auch einige Frauen, deren knappe, ja schamlose Kleidung ihn erstaunte. Die meisten liefen hin und her, sie gestikulierten oder rauften sich die Haare. Nur am hinteren Rand des Platzes, im Schatten eines flachen Schuppens, bemerkte er eine Stelle, von der eine auffällige Ruhe ausging. Ein Ort der Stille, dachte er, spürbar selbst auf diese Distanz.
    Von plötzlichem Unbehagen erfaßt, hob er das Rohr ein wenig höher, und die Landschaft hinter dem Camp kam ins Blickfeld, der Labouring Creek, der an dieser Stelle eine scharfe Linkskurve beschrieb, und just in diese Kurve des breiten Stroms war das Lager geschmiegt. Ein Wehr mit eisernen Zacken verlief quer durch den Fluß. Vor dem Wehr stauten sich die Hunderte Baumstämme, die von Norden her den Strom hinabgetrieben kamen, und wurden von der Strömung zum Ufer geschoben. Dort waren ein halbes Hundert Männer damit beschäftigt, die Bäume mit Seilen und Flaschenzügen aus dem Wasser zu ziehen und mit Äxten zu zerlegen und die Stämme mit Ochsengespannen die sumpfige Uferlände hinaufzu-schleppen.
    Robert schwenkte mit dem Glas noch einmal auf den Strom, der zweihundert Fuß breit sein mochte, bis zum jenseitigen Ufer, das von undurchdringlichem Dickicht bedeckt war, und langsam wieder zurück, an dem gezähnten Wehr entlang, vor dessen Eisengatter sich die Baumstämme in der schäumenden Flut stauten. Irgend etwas Unerwartetes war eben dort gewesen, was es war, hätte er nicht sagen können, aber jedenfalls etwas Ungewöhnliches, etwas Erschreckendes, dachte Robert, der im gleichen Moment eine kleine braune Gestalt entdeckte, die scheinbar über das Wasser wandelte: von der Uferlände des Camps auf die Mitte des Stroms

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