Im Tempel des Regengottes
dieser Tage hatten sie sich fast nur durch Blicke und Gesten verständigt und kaum ein Dutzend Worte miteinander gewechselt. Paul war meist in sich gekehrt gewesen, in grimmiger Stimmung, und die beiden Diener, Mabo und Henry, legten ohnehin fast immer stoische Schweigsamkeit an den Tag. Zumindest Stephen und Miriam hatten anfangs noch die bedrückende Stille unterbrochen, tuschelnd nach der törichten Art von Verliebten. Aber die beiden hatten sich bald schon weit zurückfallen lassen und waren jeweils erst am späten Nachmittag wieder zu ihnen gestoßen. Auch ihr Nachtlager hatten sie abseits errichtet, wenn auch nah genug, daß Miriams selbstvergessenes Seufzen und Stephens katerhaftes Schnauben durch den nächtlichen Dschungel herüberdrangen. Wenn Paul und Stephen, dachte Robert nun, nicht bald wieder miteinander sprachen, würde sich die aufgestaute Bitterkeit über kurz oder lang in einer Gewalttat entladen.
Unter diesen Gedanken ritt er den Hügel hinauf, fast ohne die stolpernden Schritte seines Wallachs oder das helle Sirren zu bemerken, mit dem immer wieder kleine Steinbrocken unter den Pferdehufen hervorsprangen. Auf der Kuppe angelangt, glitt Mabo von seinem Pferd und machte sich gleich daran, die Tiere mit Futter und Wasser zu versorgen, das sie in Ledersäcken mit sich führten. Auch Robert sprang von seinem Pferd, reichte Mabo die Zügel und schaute um sich, im ersten Moment zu müde und benommen, um zu begreifen, was er vor sich sah.
Die Kuppe des Hügels war flach wie eine Tafel, ein Geviert von vielleicht zehn auf fünfzehn Schritten, mit gewaltigen Trümmern bedeckt. Schlamm, Gras und Buschwerk überzogen die Steinbrocken, die so willkürlich auf der Fläche verstreut und so unförmig schienen, daß vielleicht nicht einmal Catherwood auf den ersten Blick erkannt hätte, worum es sich bei dieser Stätte handelte.
Robert ging einige Schritte weiter, zwischen den Trümmerstücken hindurch, auf die gegenüberliegende Seite des Hügels zu, und da erst begriff er, mit einem Schlag, und erstarrte förmlich in der Bewegung.
Tief unter ihnen, auf einer ovalen Lichtung, von dichtem Wald umgeben, lag ein kleines Dorf, kaum zwei Dutzend Hütten, im Hintergrund ein Langhaus, dahinter eine Schlucht, in der ein gischtender Wildbach zu erahnen war. Der Himmel hatte sich verfinstert, wie an jedem Nachmittag, doch durch eine Lücke in den Wolken fiel ein dicker Sonnenstrahl und hüllte die Lichtung in eine Säule aus Gold. Zwischen den Hütten sprangen winzige Gestalten umher, Kinderstimmen schallten zu ihnen empor, und Robert, der unverwandt auf die Lichtung hinabsah, wurde die Kehle eng, und sein Herz begann zu klopfen, als wäre er in der Fremde verirrt gewesen und kehrte nun endlich heim.
»Gehen wir hinunter«, sagte er, »worauf warten wir?« Und dann ging er los, ohne sich um Paul oder Mabo zu kümmern, ohne auch nur an sein Pferd zu denken, und schritt Stufe um Stufe hinab, auf der gewaltigen Freitreppe, die wohl hundertfünfzig Fuß messen mochte und teilweise verfallen war, die Stufen zerbröckelt, trotzdem war noch gut zu erkennen, wie prachtvoll diese Treppe einst gewesen sein mußte. Edelleute mochten sie hinabgeschritten sein, dachte Robert, und Priester in feierlicher Prozession, und ihm war, als wäre seine Traumwelt nun endlich wahr geworden, während er weiter und weiter hinablief, der Siedlung entgegen, die zu Füßen der gewaltigen Pyramide lag und von Menschen bewohnt wurde, sagte sich Robert, für die die Überlieferung ihrer majestätischen Vorfahren noch lebendige, tagtäglich erlebte Wirklichkeit war.
2
Er trat von der untersten Stufe der Pyramide auf den Hauptweg, der sich schnurgerade durchs Dorf zog, zwanzig Fuß breit und von Hütten gesäumt. Es waren dürftige Holzbauten, wie er nun erkannte, von rundlicher Form, aus dünnen Baumstämmen errichtet, die nebeneinander in den Boden gerammt und mit Stroh oder Bambus gedeckt waren. Doch das Dorf bot ein friedliches Bild, mit den Palmen am Wegrand, die scharf gegliederte Schatten warfen, und den Orangenbäumen und Bananenstauden überall zwischen den Hütten. Der Weg, aus gestampftem Lehm, war reinlich gekehrt, und ein aromatischer Geruch erfüllte die Luft, bittersüß wie frischer Kakao.
Dennoch verspürte er ein Unbehagen, als er langsam weiterging, zwischen den Hütten auf das Langhaus zu, das am Ende des Dorfes quer auf dem Weg stand, wie ein Riegel vor der Schlucht. Seltsam war allerdings, daß sich weit und breit
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