Im Tempel des Regengottes
Hügel in einem Ring aus tintenschwarzen Wolken schwebte. Wer zum Teufel ist Oldboy, dachte er. Bisher hatte er geglaubt, daß sie auf ihrem mühseligen Ritt so tief in die südliche Wildnis vorgedrungen wären wie kein Weißer, ob Europäer oder Amerikaner, vor ihnen. In den urtümlich verstrüppten Wäldern waren sie jedenfalls auf keinerlei Spuren christlicher Zivilisation gestoßen. Die wenigen Indios, denen sie im Dickicht überhaupt begegnet waren, hatten sie angestaunt, als wären sie die fahlhäutigen, wirrbärtigen Götter, die nach uralter Verheißung einst in ihrem Land eintreffen würden, zum Zeichen des Weltuntergangs.
Der Schweiß lief Robert über Stirn und Wangen, dabei hielten sie im Schatten eines gewaltigen Zapotebaums. Auch sein Unterhemd war von Schweiß durchweicht, und im Grunde, dachte er, waren seine Kleider seit ihrer Flucht aus Fort George kein einziges Mal mehr wirklich trocken geworden, da sie ständig entweder von Regengüssen durchnäßt wurden oder vom strömenden Schweiß.
Er warf einen Blick zu Mabo, der neben ihm auf seiner Schecke saß, mit unbewegter Miene. Dem Mestizen schienen Schwüle und Mühsal nach wie vor wenig zuzusetzen. Aufmerksam sah er zu ihm zurück, düster zwar, wie er stets zu blicken pflegte, aber auch mehr und mehr vertrauensvoll. Das feierliche Frackhemd, das Robert ihm auf dem Floß übergeworfen hatte, war an jenem Abend in Mabos Besitz übergegangen, und seitdem trug er das Hemd als knielange Tunika mit aufgekrempelten Ärmeln, offenem Kragen und ebenso offenkundigem Stolz.
Abermals schaute Robert über die Schulter zurück, doch von Stephen, Miriam und Henry war weiterhin nichts zu sehen. Noch am selben Tag, an dem ihm Paul von ihrem Überlebensbund erzählt hatte, dachte er, war die Freundschaft der beiden Kumpane zerbrochen oder doch gewaltig erschüttert worden. Daß Stephen die junge Frau mit auf das Floß genommen hatte, gegen seinen Willen oder ohne ihn vorher auch nur zu fragen, empfand Paul offenbar als Verrat, und Stephen schien nicht weniger erbost, daß Paul auf den Holzfäller geschossen hatte, um Mabos Leben zu retten.
Während er Paul hinterherschaute, der langsam den Hang hinaufritt, sah er vor seinem geistigen Auge noch einmal, wie Paul auf den Mann am Labouring Creek anlegte. Zugleich hob in seiner Erinnerung Stephen die Pistole, so daß er beide vor sich sah, übereinander geblendet wie in einer Camera lucida: den Hünen am Strom, der zurückgeschleudert wurde, seine Stirn zerrissen von Pauls Schuß, und den Maya-Abgesandten im Park des Gouverneurs, seine weiße Tunika, die sich auf einmal rot verfärbte, von der linken Schulter bis zum Gürtel hinab. Robert schloß die Augen und atmete langsam ein und aus. Noch hatte er den Schrecken über diese Bluttaten nicht verwunden, und in diesem Moment schien es ihm, als ob er das in ihm lauernde Entsetzen niemals mehr bändigen würde.
Als er die Augen wieder öffnete, hatte Paul eben die Kuppe des Hügels erreicht. Sein mageres rotbraunes Pferd setzte über einen Geröllbrocken am Ende des Weges, dann schwang sich Paul hinab und verschwand, die Stute hinter sich herziehend, zwischen den Trümmerstücken, die auf der Kuppe in großer Zahl verstreut schienen.
Auch sie machten sich nun an den Aufstieg. Während der letzten drei Tage hatte Robert so haarsträubende Strapazen und Hindernisse bewältigt, daß ihn selbst dieser schroffe Pfad kaum mehr schrecken konnte. Am ersten Tag, nachdem sie das Floß am Labour ing Creek zurückgelassen hatten, waren sie durch schier endloses Sumpfland geritten, bis zu den Stiefeln im Morast und von Mücken gepeinigt, die in Wolken auf sie eingestürmt waren. Am zweiten Tag hatte sie sich durch unwegsames Gestrüpp vorangekämpft, so daß sie vom Morgenlicht bis zum Abenddämmer mit Macheten einen Pfad ins Dickicht hauen mußten. Heute vormittag schließlich waren sie in ein wild zerklüftetes Gebirge gelangt und Meile um Meile über schroffe Abhänge, Geröllfelder und Saumpfade geritten, der erbarmungslosen Sonne ausgesetzt und vor Durst beinahe verschmachtend. Erst am Nachmittag hatten sie das Gebirge hinter sich gelassen, allmählich hatte sich das Land wieder abgesenkt, mit Buschwerk und Bäumen bedeckt. Die Luft war wieder feuchter und drückender geworden, und seit einigen Stunden waren sie erneut von wucherndem Regenwald umschlossen, auf schmalen Pfaden, die ein Wirrwarr aus Ästen und Stämmen, Lianen und fleischigem Blattwerk umgab.
Während all
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