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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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dunkle Schatten von den Steinbrocken herabgesprungen, keine Jaguare, wie er nun erkannte, doch zu spät. Die Mayaburschen waren schon auf ihm, rissen ihn zu Boden und schlugen auf ihn ein, bis er die Besinnung verlor. Der Mestize schien noch immer zornig, aber mehr noch erstaunt, daß die jungen Krieger ihn derart übertölpelt hatten. Vorhin, als er Robert von seiner Schmach berichtete, hatte sich der greise Schamane zu ihnen umgewandt, mit so wissender Miene, als ob er genau verstünde, wovon sie sprachen, und auf einmal war Robert der Gedanke gekommen, daß Mabo womöglich durch einen Zauber Iltzimins überlistet worden war.
    Unterdessen war der Greis weitergegangen, und er beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Der Schamane nahm eine Fackel aus einer Wandnische, zündete sie an und hielt sie in die Höhe. Im flackernden Licht sah Robert, daß der Weg vor ihnen nahezu lotrecht abstürzte. Schmale roh behauene Stufen führten in eine Tiefe, deren Grund von hier oben aus nicht einmal zu ahnen war.
    »Wohin führt dieser Weg?« Seine Stimme hallte zwischen den Felswänden. »Frag hin, Mabo, wohin er uns bringt.«
    Zu seiner Überraschung bekamen sie diesmal eine Antwort. Der Schamane, der schon einige Stufen hinabgestiegen war, wandte sich um und sagte mehrere rasche Worte. Dabei schwenkte er die Fackel, deren Licht er selbst weder brauchte noch sah. »Aktun Cha'ac«, hörte Robert, »Chul Ja Mukal«, und der Mestize beugte sich über Ajkechtiim hinweg und übersetzte:
    »Iltzimin führt dich in die Höhle des verborgenen Wasserstrudels, Herr. Sie ist Cha'ac geweiht, dem mächtigen Regengott des alten Volkes. Dort unten sollst du Cha'ac begrüßen und dein Geschenk in Empfang nehmen, wie es das Gesetz der Götter befiehlt.«
    Erschrocken sah Robert in das Gesicht des alten Schamanen, der ihn aus blinden Augen anzuglotzen schien. Wieder kroch Angst in ihm empor, die nackte, erbärmliche Todesangst der letzten Nacht. Dem Regengott geweiht, dachte er und sah die Fratze dieses Götzen vor sich, wie er sie in dem verschütteten Tempel über Victoria Camp erblickt hatte: die hervorquellenden Augäpfel, die Rüsselnase, die lüstern geschürzten Lippen.
    Iltzimin wandte sich um und stieg weiter hinab. Robert blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, der Schamane trug die Fackel, und mit jedem Schritt, den er sich entfernte, wurde es finsterer. Auf schlüpfrigen Stufen kletterte er hinter dem Greis her, vergebens versuchte er die Bilder zu ignorieren, die sein geistiges Auge vor ihm in die Dunkelheit spiegelte: die Leichname, wie er sie in Pauls Fernrohr erblickt hatte, ihre Gesichter eine graurosa Masse, aus der die Augäpfel hervorquollen und eine abscheulich rote Rüsselnase ragte. Wieder blieb er stehen und wandte sich um. Eine Falle!, dachte er, laß uns zurückgehen!, wollte er Mabo zurufen, der zwei Schritte hinter Ajkechtiim verharrte, da erklang hinter ihm in der Tiefe die Stimme des Schamanen, so laut widerhallend, daß der ganze Berg zu erbeben schien.
    »Komm herab, Herr«, übersetzte Mabo, »in die Höhle Cha'acs. Weihe dich dem Gott des Regens, der fließenden und stehenden, reißenden und stürzenden Gewässer, dem mächtigsten Gott dieser Welt.«
    Widerstrebend wandte sich Robert um. Zwei Stufen unter ihm, im Felsboden, klaffte ein rundes Loch, aus dem flackerndes Licht drang. Da stieg er auch die letzten Stufen noch hinunter, wie magnetisch angezogen, und beugte sich über die Öffnung. Eine Strickleiter baumelte hinab, und darunter, in schwindelnder Tiefe, dehnte sich eine Höhle, weitläufig wie eine Kathedrale. Fackeln brannten an den Wänden, die über und über mit Bildern, Glyphen, Reliefs bedeckt waren. Das flackernde Licht vervielfachte sich in dem dunkelgrünen Spiegel, der den Boden der Höhle bedeckte, einem weiten, unterirdischen See.

8
     
     
    Stumm sah Robert in das Heiligtum hinab, gegen seinen Willen beeindruckt. Eine feierlich düstere Stimmung erfüllte den weiten Raum. Vor allem aber, dachte er, schwebte etwas Unheimliches über dieser Stätte, eine Aura urtümlicher Angst und Grausamkeit. Er würde nicht auf dieser Strickleiter hinabhangeln, beschloß er, nicht dreißig Schritte oder mehr auf schwankenden Streben in die Tiefe klettern, um sich dort unten zu Ehren des Regengötzen womöglich schlachten zu lassen, da erhielt er von hinten einen Stoß und rutschte in das Loch hinein, mit den Füßen voran und starr vor Schreck. Über ihm stieß Ajkechtiim einen erstickten Schrei aus.

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