Im Tempel des Regengottes
wulstigen Lippen, taumelten in einem Wirrwarr riesiger Glyphen, lodernder Fackeln, aufspritzenden Wassers im Kreis.
Zweimal jagte er an Iltzimin vorüber, der auf seinem Stein hockte, die Füße auf ein großes rundes Holzstück stützend, und aufmerksam zum See hinabzulauschen schien. Wenige Augenblicke, bevor Robert abermals an seinem Uferstein vorbeigerissen wurde, bückte sich der Schamane und stieß das Holzstück mit Händen und Füßen hinab. Erschrocken sah Robert, wie das schwarze Trumm, fünf Fuß lang und vom Umfang eines kräftigen Mannes, über die Böschung hinunterkollerte und wie eine Schranke vor ihm ins Wasser schlug. Da warf er sich mit dem Oberkörper darauf und hielt so das Ungetüm fest, ein massives Baumstück, wie er nun erkannte, mit leuchtend roter Spitze und von solchem Gewicht, daß es zur Hälfte im Wasser versank.
Er umklammerte den Stamm und sah aufatmend um sich. Weiterhin drückte die Strömung mit furchtbarer Kraft gegen seine Beine, doch das Holzstück hemmte die Gewalt des Strudels, so daß sich die Wände der Götzenhöhle nur noch gemächlich um ihn drehten.
9
»Es ist überliefert«, sagte Iltzimin, »daß der Bote, den die Götter aussandten, um Tayasal zu retten, in einem heiligen See wie diesem badete, einem Cenote.«
Er war von seinem Steinquader aufgestanden, mit ausgebreiteten Armen stand er am Rand des Sees, und seine Stimme hallte von den Felswänden wider. Hoch über ihnen hatte Mabo seinen Kopf durch das Loch in der Kuppel geschoben und übersetzte, was Iltzimin sprach.
»Das geschah im neunzehnten Tun des dritten Katun, als der fahlhäutige Bote durch das Land der Maya zog, gen Tayasal. Krieger vom Volk der Itzaj entdeckten den Frevel, und die Priester beschlossen, den Fremden mitsamt seinen Begleitern zu töten. Denn der Cenote war Cha'ac und den Göttern von Bolontiku geweiht, der neunfaltigen Unterwelt. Und so wurde der fahlhäutige Bote überwältigt und auf den Opferaltar gestreckt, am Rand des heiligen Sees, wie es das Gesetz befiehlt.«
Iltzimin wandte sich um und wies mit ausgestrecktem Arm auf das schwarzrote Steinpodest, das sich vor der Felswand erhob, drei Fuß hoch und ein halbes Dutzend Schritte breit. Im Wasser treibend, an den Holzpfahl geklammert, lauschte Robert seinen Worten, mit einer Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit. Sein Leben verwirkt, nur weil er in ein Wasserloch gesprungen war? Der Schmerz in seinem Hinterkopf pochte, aber nur leise, gedämpft wie die Angst in seinem Innern, wie das Murmeln des Wassers, dessen Wärme ihn benommen machte.
Der Schamane trat vor den Opferaltar und hob die Arme zu einem riesigen, aus der Wand gemeißelten Götterkopf, der auf sie herabglotzte, ein nebelgraue s Gesicht mit wulstigen Lippen und der blutroten Rüsselnase Cha'acs. »Der Opferpriester«, fuhr er mit hallender Stimme fort, »hatte den Obsidiandolch schon in der Hand und wollte dem fahlhäutigen Boten eben das Herz aus der Brust schneiden, als etwas Wundersames geschah.«
Robert mußte seinen Kopf zurückwenden, um Iltzimin im Blick zu behalten. Die Strömung schob ihn im Kreis voran und zerrte an dem Holzstück, das er krampfhaft mit den Armen umklammerte. Um ihn herum gurgelte die Flut. Ein dumpfes, stetiges Brausen drang aus der Tiefe, und in der Luft schwebte feiner Wasserdampf, der die Umrisse traumhaft verwischte, auch die Gesichter des Mestizen und des jungen Kriegers in der Kuppel hoch über ihm.
»Aus den dreizehn Himmeln«, verkündete Iltzimin, »flog eine silberne Gestalt herab, vor den Augen der Priester und Krieger. Mit heller Stimme rief sie aus: ›Schont das Leben dieses Mannes - er ist von den Göttern gesandt!‹ Nach diesen Worten tauchte sie in den Cenote, und der fahlhäutige Bote wurde sogleich von seinen Fesseln befreit. Denn die silberne Gestalt war niemand anderes als die oberste Priesterin der Mondgöttin Ixquic.«
Eine Priesterin, die vom Himmel herabflog - was hatte das nun wieder zu bedeuten? Robert dachte noch darüber nach, da hob ihn eine Welle empor und wollte ihn über das Holzstück hinwegdrücken. Krampfhaft klammerte er sich an dem klobigen Pfahl fest, und da erst erkannte er, was der vor ihm im Wasser schwankende Trumm darstellte, mit der schwellend roten, wie ein Pilzhut gerundeten Spitze und dem stämmigen Schaft, den er mit Brust und Armen umfangen hielt.
Peinlich berührt wandte er sich ab und blickte zu Iltzimin hinüber, der sich wieder herumgedreht hatte und zu ihm auf den See
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