Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
Das Fell glitt von seinen Schultern und fiel hinab, im Flug sich zur Katze entfaltend. Robert stürzte hinter dem Jaguar her, auf den dunkelgrünen Spiegel zu, der sich tief unter ihm im Kreis zu drehen schien. Dann endlich löste er sich aus seiner Erstarrung und packte mit beiden Händen nach der Strickleiter, die neben ihm im Leeren schwankte.
    Er bekam die Seile zu fassen und spürte einen schmerzhaften Ruck in den Schultern, doch glücklicherweise hielten die Stricke ebenso wie seine Gelenke stand. Wild schaukelte die Leiter hin und her, und Robert klammerte sich daran und zappelte mit den Beinen, bis er einen der nachgiebigen Stege unter seinen Füßen spürte. Sein Atem ging keuchend, und obwohl er starr auf seine Hände blickte, die mit festem Griff die Seile umfaßten, sah er sich wieder und wieder in die Tiefe stürzen, drei Fuß über dem fliegenden Jaguar. Ajkechtiim hatte ihn angerempelt, dachte er - aus Ungeschick oder auf Iltzimins Geheiß?
    Immer noch keuchend, sah er nach oben, zu dem Felsloch, durch das Ajkechtiim und Mabo zu ihm hinabschauten, der Mestize mit erschrockener Miene, der kleine Krieger so entsetzt und offensichtlich schuldbewußt, daß Roberts Argwohn verflog.
    Es war ein Mißgeschick, dachte er, indem er sich abwandte und nach unten spähte. Da erst wurde ihm bewußt, daß er in gänzlicher Nacktheit inmitten des Gewölbes schwebte, dreißig Fuß über dem See. Wie ein tölpelhafter Zirkuskünstler, dachte er, der zu seiner Schmach auch noch sein Kostüm eingebüßt hat, unter den Augen des Publikums.
    Am Ufer des Sees saß der Schamane auf einem Steinblock, aus blinden Augen zu ihm hinaufstarrend. In jäher Verblüffung fragte sich Robert, wie Iltzimin dort überhaupt hingelangt war, denn die Strickleiter endete geradewegs über der Mitte des Sees, neunzig Fuß vom Ufer entfernt. Doch auch das Jaguarfell lag dort am Rand des Wassers, allem Anschein nach sowenig durchnäßt wie Iltzimin, als hätte die gewaltige Katze sich tatsächlich mit einem Satz dort hinübergerettet. Nur er selbst, dachte Robert, war zu unbeholfen, um eine Aufgabe zu meistern, die der blinde Greis und sogar das stinkende Tierfell mühelos bewältigt hatten. Holzmensch, Vogelscheuche, beschimpfte er sich im stillen und kletterte nun, so rasch es die Seile erlaubten, weiter hinab, zehn, fünfzehn schwankende Stufen. Dann sah er noch einmal nach unten, ließ die Leiter fahren und sprang mit verzweifelter Kühnheit in den grünen Spiegel hinein.
    Das Wasser schlug über ihm zusammen und zog ihn in Düsternis hinab. Überraschend warm war der See und viel tiefer, als er erwartet hatte. Immer weiter trieb er hinunter, die Luft wurde ihm schon knapp, als er endlich Boden unter den Füßen spürte, weichen, schleimigen Grund. Er versuchte sich abzustoßen und sank noch tiefer hinein. Mit krampfhaften Bewegungen ruderte er empor, aus schwarzgrünen Tiefen sich in dunkelgrüne Düsternis kämpfend, die sich endlich mit dem Flackern der Fackeln vermischte, und dann brach er aus dem Wasser hervor, mit brennender Lunge und keuchend, als ob ihm das Henkersseil abermals die Luft abschnürte.
    Nur kurz sah er um sich und wartete, bis sein Atem sich ein wenig beruhigt hatte. Er war noch immer in der Mitte des Sees. Linker Hand, dreißig Schritte weit, thronte Iltzimin auf seinem Stein am Ufer, unter einem gewaltigen, schwarzrot bemalten Podest, das sich an der Höhlenwand entlangzog, ein Altar, wie Robert dachte. Er drückte die Schultern ins Wasser, das ganz unbewegt schien, wahrhaftig wie ein Sp iegel, und schwamm auf den Alten zu. Lange würden seine Kräfte nicht mehr reichen, dachte er, doch er zwang sich, ruhig zu atmen, im gleichen Rhythmus, in dem seine Arme und Beine sich bewegten, und mochte vielleicht zehn Schwimmzüge noch vom Ufer entfernt sein, als ihn eine gewaltige Strömung ergriff, zwei Fuß unter der Wasseroberfläche, und ihn mit sich zog, mit jagender Hast im Kreis.
    Die Strömung riß ihn voran, so nah am Ufer, daß er die Fugen im gemauerten Kai erkennen konnte, und doch zu fern, als daß er die Mauer hätte erreichen können. Starr vor Entsetzen überließ er sich der Gewalt des Wassers, das gegen seinen Rücken, seine Beine drückte, mit urtümlicher Kraft und um so erschreckender, als der See von oben gänzlich unbewegt schien. Die ganze riesige Höhle, die ihn bisher so starr umgeben hatte, geriet in wirbelnde Bewegung, die Götzenbilder an den Wänden, glotzend und stierend, mit weiten Augen,

Weitere Kostenlose Bücher