Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
hinaussah. Mit der rechten Hand deutete der greise Schamane nach oben, und Robert folgte ihm mit dem Blick, zu einer Nische in der Felswand, wenige Fuß unter der Höhlendecke. Die Nische war so hoch und breit, daß sie drei ausgewachsenen Männern Platz geboten hätte. Eine hochgewachsene Gestalt stand darin, nur undeutlich zu erkennen im Wasserdampf. Robert starrte hinauf, die Strömung schob ihn weiter, jetzt war er genau unter der Nische und riß die Augen auf. Sie ist es, kein Zweifel, dachte er, die junge India, dort oben stand sie, keine Traumerscheinung, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut! Ein heißes Gefühl durchströmte ihn. Wie ernst sie mich ansieht, dachte er, drängend, erwartungsvoll. Doch da hatte die Flut ihn schon weitergezogen, fort von der Wandnische, erneut auf Iltzimin zu, der noch immer mit ausgestrecktem Arm nach oben zeigte. Robert drehte sich gewaltsam herum und sah abermals zu der Nische hinauf, wahrhaftig, dachte er wieder und hätte vor Glück jauchzen mögen. Wie wunderschön sie aussah, ihre hohe Gestalt im silbernen Gewand, ihr glänzend schwarzes, zum Vogelnest aufgestecktes Haar.
    Ohne es recht zu bemerken, hatte er begonnen, sich mit paddelnden Beinstößen gegen die Strömung zu stemmen. So versuchte er zu der jungen Mayafrau zurückzurudern, und er spürte schon, daß es gelingen konnte, daß die Kraft der Kreisströmung nachließ, je weiter er, an den gewaltigen Pfahl geklammert, seitwärts ruderte, zum Ufer hin. Da erklang aufs neue die Stimme des Schamanen, von den Wänden widerhallend: »Du bist es, wiedergekehrter Bote der Götter, wie könnte ich zweifeln? Damals wie heute hast du den Frevel begangen, in einem heiligen Cenote zu baden, das ist das erste Zeichen.«
    Hochaufgerichtet stand Iltzimin vor dem schwarzroten Altar. Voller Erstaunen sah Robert, daß der Alte seine Tunika abgeworfen hatte und nahezu nackt dort stand, eine ausgemergelte Gestalt im grauen Schurz, auf dem das Antlitz seines Götzen prangte.
    »Damals wurdest du ausgesandt, Tayasal zu retten, und versagtest furchtbar«, fuhr Iltzimin fort, und Mabo in der Kuppel verfiel in einen ebenso feierliche n Ton. »Der Canek, seine Priester und Krieger mußten aus der heiligen Stadt fliehen. Das Reich am Haltuna wurde von den weißen Eindringlingen zerstört, die seitdem durch deine Schuld über die Welt der Maya herrschen. Wie könnte ich zweifeln, wiedergekehrter Götterbote«, wiederholte er, »denn dies ist das zweite Zeichen: Nur wer unsägliche Schuld auf sich geladen hat und verurteilt wurde, sie zu tilgen, wird von den Göttern in der gleichen Gestalt ein zweites Mal in die Menschenwelt gesandt.«
    Robert lauschte der so rätselhaften wie erschreckenden Rede, zugleich versuchte er noch immer, sich mit mechanischen Beinstößen aus der Strömung zu befreien, aber die Flut hatte ihn schon weit von der India fortgerissen. Seine Bewegungen bewirkten nur noch, daß der Pfahl vor ihm wild im Wasser hin-und hersprang, während er unaufhaltsam auf Iltzimin und den Altar des Regengottes zutrieb.
    »Und so soll dir auch diesmal das Leben geschenkt werden«, rief der Schamane aus, »obwohl du gegen Cha'ac gefrevelt hast!« Er deutete über seine Schulter, zu dem riesigen Götterkopf mit der Rüsselnase, der von der Wand herabglotzte, über einer Doppelreihe kleinerer, seltsam unförmiger Götzengesichter, wie Robert nun sah. »Nimm also dieses Geschenk entgegen - zum Zeichen, daß du auch deinerseits keinen Groll hegst, gegen Cha'ac und die Maya von Chul Ja' Mukal!«
    Als er Cha'ac rief, riß er beide Arme in die Höhe. Robert schaute zu dem Loch in der Höhlendecke empor und sah in jähem Entsetzen, wie sich dort oben eine kleine, dunkle Gestalt löste und hinabfiel, dreißig Schritte tief, zusammengekrümmt, tatsächlich in der Haltung eines Frosches. Dann schlug Ajkechtiim auf dem Wasser auf, und Iltzimin schrie:
    »Rette ihn, Götterbote, dann ist er dein! Geht er zuschanden, so gehört er Cha'ac!«
    Ajkechtiim war der Kreisströmung bedrohlich nahe aufgekommen, keine fünfzig Fuß hinter Robert, der auf seinem Holztrumm herumgefahren war. Kaum war der Junge wieder aufgetaucht, da ergriff ihn die Strömung und zog ihn mit solcher Gewalt mit sich, daß er wie ein Ba ll auf Robert zuschoß. Ohne sich zu besinnen, ließ Robert den Holzpfahl fahren und warf sich der Strömung entgegen, die auch ihn mit furchtbarer Kraft ergriff und mit sich riß. Im letzten Moment bekam er dennoch den wirbelnden kleinen Leib zu

Weitere Kostenlose Bücher