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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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fassen und tauchte, Ajkechtiim an sich pressend, so tief er nur konnte hinab. Keinen Lidschlag zu früh, dachte er, denn schon schossen sie, von der Strömung mitgerissen, unter dem Holztrumm hindurch, einer gewaltigen schwarzen Masse, die zollbreit über ihren Köpfen mit wilden Stößen durch die Fluten pflügte.

10
     
     
    Er wankte die gemauerte Böschung empor, am Ende seiner Kräfte, auf seinen Armen Ajkechtiim. Der kleine Krieger war ohne Bewußtsem, aber er lebte, sein Brustkorb hob und senkte sich, sachte wie im Schlaf. Roberts Atem dagegen ging stoßweise, keuchend trat er neben Iltzimin, das Wasser troff aus seinen Haaren und rann ihm in hellen Bächen über Brust und Rücken hinab. Der Schamane stand vor dem rotschwarzen Steinpodest. Eben wollte Robert den reglosen Leib darauf legen, da hob Iltzimin eine Hand, und er verstand, noch ehe Mabo übersetzt hatte:
    »Nicht dorthin, Herr. Wer den Stein berührt, gehört Cha'ac.« Die Stimme des Mestizen tönte verzerrt von der Kuppel herab, hallend wie ein Orakel. Ein Frösteln überlief Robert, er sah um sich, und auf einmal schien keine Stelle ihm sicher genug für seine Last. So trug er Ajkechtiim zum Ufer zurück und ließ den Bewußtlosen auf das Jaguarfell gleiten, das dort ausgebreitet lag, wie es von der Höhlendecke niedergefallen war. Der junge Krieger öffnete kurz die Augen, rollte sich zusammen und sank gleich wieder in Schlaf.
    Als Robert sich aufgerichtet und umgewandt hatte, stand der Schamane vor ihm, so nahe, daß er zusammenfuhr: Er hatte Iltzimin nicht herantappen hören. Je länger er ihn beobachtete, desto unheimlicher wurden ihm die Kräfte des blinden Alten, der auf geheimnisvolle Weise dennoch zu sehen schien.
      »Ajb'isäj-ju'um d'ojis, Bote der Götter, nimm diese Tunika«, sagte Iltzimin, »und trage sie fortan immer, auf daß dir die Macht Cha'acs stets gegenwärtig sei.« Und er überreichte ihm das Gewand, das er selbst vorhin getragen hatte, eine lange, weite Tunika von nebelgrauer Farbe, deren Säume reich verziert waren.
     
    Mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit nahm Robert das Gewand entgegen. In diesem Moment war es ihm ganz gleich, von wem es stammte oder was die Zeichen auf den Säumen bedeuten mochten. Seit er aus dem Wasser gestiegen war, hatte er nicht mehr gewagt, zu jener Nische emporzusehen, die seine Blicke doch wie magnetisch anzog. Er verging beinahe bei dem Gedanken, daß die junge Mayafrau nicht mehr dort oben ausharren, ihn nicht mehr voll drängender Erwartung ansehen könnte, doch seine Nacktheit beschämte ihn so sehr, daß er sich dennoch wünschte, sie möge ihn nicht in so unwürdiger Lage erblicken.
    Noch immer war er außer Atem, und seine Beine fühlten sich kraftlos an, nachdem er in der reißenden Strömung minutenlang um sein und Ajkechtiims Leben gekämpft hatte. Sie aus der verschlingenden Flut zu retten hatte sich dann jedoch als unerwartet leicht erwiesen: Der Schamane war einfach ans Ufer getreten und hatte ihm ein Seil zugeworfen, das an einem Stein in der Böschung befestigt war. Er hatte mit einem Arm den Ohnmächtigen festgehalten, mit der anderen Hand das Seil umklammert, worauf der Uralte sie ohne erkennbare Anstrengung aus der Strömung gezogen hatte, ins ruhige Wasser am Kai.
    Rasch warf er nun die Tunika über, die ihm bis zu den Knien reichte. Mit gespreizten Fingern striegelte er sich die triefnassen Haare aus der Stirn, wie er es bei Paul gesehen hatte, und wollte sich eben umwenden, zur Nische hin, die dem Altar gegenüberlag. Da trat der Schamane noch näher vor ihn und preßte die Hände auf sein Gesicht, links und rechts auf die Wangen, als wüßte er genau, was Robert im Sinn hatte, und wollte es unbedingt verhindern.
    »Geh nach Kantunmak, Bote der Götter.« Iltzimins Atem fuhr Robert in die Nase. »Dreizehn Tagesreisen von hier steht der heilige Stein, der deine Gestalt und deine Züge trägt. Seit neun Katun, hundertachtzig Jahren, wartet die ganze Welt der Maya auf deine Wiederkehr. Geh nach Kantunmak«, wiederholte er, »dort harrt deiner die Aufgabe, die du zu lösen hast, zum Wohl der Götter, um Macht und Glanz unseres Volkes zu erneuern und zur Tilgung deiner schrecklichen Schuld.«
    Der alte Mann hatte so eindringlich gesprochen und mit derart entrückter Miene durch ihn hindurchgesehen, in eine ferne Vergangenheit oder Zukunft, daß Robert ein Schauder überlief. Ein halbes Dutzend Male hatte ihn der Schamane schon als »Boten der Götter« bezeichnet und mit

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