Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
seinem Herz nach draußen. Es durchzuckte ihn derart, dass er auf die Knie fiel, sich nach vorn beugte und zu heulen anfing.
Das grauenhafte enge Gefühl in seinem Hals entsprang seiner tief empfundenen Einsamkeit, Traurigkeit oder Verzweiflung, vielleicht auch allem zusammen. Es war so schlimm, dass er dachte, alles, sogar der Tod, wäre besser, als dieses entsetzliche überwältigende Gefühl.
Sein Kopf tat so furchtbar weh. Nach nichts sehnte er sich so sehr, wie nach dem Ende dieser bohrenden Schmerzen. Für ein paar Schmerztabletten hätte er alles gegeben. Sein ganzer Rücken, überhaupt alles bis hinunter zu den Waden, war zerstochen und zerkratzt von den Dornen im Wald, und jede einzelne dieser Wunden verursachte einen eigenen kleinen Schmerz, und zusammen waren es Tausende von wunden Stellen, die sein Leid verstärkten. Sogar zwischen seinen Fingern waren Schnitte, und er konnte sich nicht mal erinnern, woher sie stammten.
Er schaute die schmutzige geschwollene Haut seiner Hände und Unterarme an. Dass er tatsächlich geglaubt hatte, er sei hier in Sicherheit, gerettet! Sein Brustkorb verengte sich, und über seine Haut kroch ein eiskalter Schauer, der ihm nur allzu bekannt vorkam.
Er lag auf dem Holzboden, rollte sich zusammen, hielt den malträtierten Kopf mit beiden Händen fest und weinte leise, bis er so erschöpft war, dass er keine Tränen mehr vergießen konnte.
55
Nachdem das Schluchzen von Surtr im Erdgeschoss endlich aufgehört hatte, legte Luke sich auf die muffige Bettdecke und horchte auf die Geräusche der Nacht. Die Kruste von getrocknetem Blut auf seinem Gesicht brach gelegentlich auf. In seinem Zimmer gab es kein elektrisches Licht. Keine Steckdosen. Keinen Strom. Wenn es also draußen dunkel wurde, dann auch hier in seinem Raum und überall sonst im Haus. Das Rauschen der Bäume vor dem Haus wurde gelegentlich heftiger und klang wie Wellen, die an den Strand rollten. Der Wind hatte seit seiner Ankunft in Schweden noch nicht so stark geweht.
Er horchte auf dieses Rauschen, bis er erneut das Geräusch von Schritten vernahm, die auf der Treppe nach oben stiegen. Er vermutete, dass die drei Jugendlichen und die alte Frau nun kamen, um ihn umzubringen. Er verkrampfte sich und hielt die Luft an.
Jemand betrat lautstark einen Raum am anderen Ende des Korridors – er glaubte die Schritte von zwei verschiedenen Leuten ausmachen zu können –, und dann wurde hinter ihnen die Tür geschlossen. Ein weiteres Paar Füße schlurfte zur Treppe und trampelte wieder nach unten, wo es irgendwohin verschwand.
Luke sog die Luft ein und entspannte sich wieder. Seine Kidnapper
gingen offenbar zu Bett. Zwei schliefen anscheinend hier oben im gleichen Stockwerk wie er. Er hatte das Gefühl, dass es ein recht großes Gebäude war. Es knarrte und quietschte überall wie ein altes Segelschiff, und er konnte das Ächzen der Balken und Verstrebungen hören. Manchmal glaubte er sogar, der Boden unter seinen Füßen würde sich bewegen. Das alles machte den Eindruck, als wäre das Haus ziemlich baufällig.
Ab und zu fiel er trotz der Kopfschmerzen und der Übelkeit vor Erschöpfung in einen tiefen Schlaf.
Dann wachte er plötzlich aus einem Traum auf, in dem er sich völlig orientierungslos immer nur um sich selbst gedreht hatte, während er in einen weißlichen Himmel starrte. Etwas hatte ihn aus dem Schlaf geholt. Geräusche. Irgendwo über seinem Zimmer.
Es musste schon nach Mitternacht sein. Draußen war es vollkommen dunkel, der Himmel, den er durch sein kleines Fenster sehen konnte, zeigte noch keine Anzeichen von Dämmerung.
Aber die Dielen in dem Zimmer direkt über ihm knarrten. Und er hörte ein leises Pochen. Es klang nicht nach dem kratzenden Geräusch, das Vögel oder Mäuse von sich geben, eher nach etwas mit wesentlich größeren Körpermaßen, das sich dort bewegte. Vielleicht waren es auch mehrere.
Ja, er war sich jetzt sicher, dass es auf jeden Fall größer war als eine Katze oder ein Hund. Es lief hin und her und schien herumzutasten. Die Art dieser Geräusche rief aus unerfindlichen Gründen in seinem Kopf das Bild einer Reihe von kleinen Kindern hervor, die blind umherstolperten und sich an den Wänden eines geschlossenen Raums entlangtasteten, auf der Suche nach einem Ausweg. Er verbannte das Bild aus seinen Gedanken. Es tat ihm gar nicht gut, sich hier im Dunkeln derartige Dinge vorzustellen.
Hastig stemmte er sich aus dem Bett. Der Fußboden gab ein lautes und anhaltendes Knarren
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