Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
von sich. Über ihm wurde es schlagartig ruhig. Er blieb stehen, hielt den Atem an und spitzte
einige Sekunden lang die Ohren. Dann ging er ganz vorsichtig über die Dielen. Die Ruhe der Nacht verstärkte das schwache Geräusch seiner Fußsohlen, als würde es über Lautsprecher abgespielt.
Er fluchte lautlos. Das Haus horchte. Die Dunkelheit verfolgte ihn.
Über ihm bewegte sich nun nichts mehr, aber er spürte, dass dort irgendetwas war und sehr genau auf seine Bewegungen achtete.
Er brach in Panik aus. Rang nach Atem. Er musste etwas unternehmen. Etwas tun. Jetzt sofort.
Beim Fenster angekommen, ließ er seine Hände rasch über den Rahmen gleiten, dann über das Glas. Wenn er hinausschaute, konnte er nichts erkennen. Die Sterne und der Mond wurden von Wolken verdeckt. Das Fenster war eindeutig zu klein, um hindurchzuklettern, nachdem er das Glas herausgeschlagen hatte. Seine Schultern würden nicht durchpassen. Und wenn er dagegen schlug, würde er sich zweifellos verletzen. Er erschauerte. Bitte, nicht noch mehr Schmerzen .
Er prüfte den Boden vor ihm, bevor er sein Gewicht darauf verlagerte, und bewegte sich im Zickzack durch den Raum bis hin zur Tür. Er drückte sich dagegen, ertastete die Umrisse mit den Handflächen und drehte am Türknauf, in der Hoffnung einen Schwachpunkt zu entdecken, den er sich für seine Flucht zunutze machen konnte. Leider erfolglos. Es war eine massive alte Tür, kein billiges Ding aus Spanplatten. Er tastete die breiten Angeln ab. Um diese Tür aus den Angeln zu heben oder aus dem Rahmen zu brechen, bräuchte er ein Stemmeisen.
Auf Händen und Füßen kroch er wieder über den Boden. Er tastete mit den Fingerspitzen die relativ breiten Spalten zwischen den Dielenbrettern ab. Am liebsten hätte er seine Hände hindurchgesteckt auf der Suche nach einem Ansatzpunkt. Aber er spürte nur einen kalten Luftzug und wirbelte trockenen
Staub auf, das war alles. Er erkannte, dass der Boden genauso beschaffen war wie die Tür: massiv und uralt. Er kroch herum, tastete alles ab, und seine ohnehin schon schmutzigen Knie wurden noch dreckiger. Er biss die Zähne zusammen und verfluchte lautlos das ganze Haus.
Als er wieder stand, bewegte er sich schlurfend an den Wänden entlang. Der Putz war an einigen Stellen feucht, an anderen spürte er den trockenen Staub der abblätternden Farbe. Er fragte sich, ob es möglich war, sich an einer mürben Stelle durch die Wand zu arbeiten, wenn er den Krug oder den Eimer zerbrach und mit einem spitzen Stück daran schabte. Seine Überlegungen wurden unterbrochen, weil sich über ihm etwas tat.
Stimmen.
Flüsternde Stimmen.
Rums, bums, rums: Es klang, als würden sich kleine Körper dort bewegen.
Er ging bis in die Mitte des Zimmers, blieb am Fuß des Bettes stehen und hörte, wie über ihm etwas seinen Bewegungen folgte. Tapsende kleine Füße gingen genau da hin, wo er jetzt stand. Genau über ihm.
Luke lief leise zum Fenster. Die kleinen Füße folgten ihm.
»Hallo«, sagte Luke.
Stille.
Er rief erneut, diesmal lauter: »Hallo.«
Keine Antwort.
»Könnt ihr mich hören?«
Niemand antwortete, aber er war sich ziemlich sicher, dass dort oben jemand war, der seine Stimme vernommen hatte. Jetzt nämlich wurde etwas anderes Kleines über den Boden dort oben geschoben oder schob sich selbst darüber. Es konnte kaum größer als ein Kind sein, denn das schlurfende Geräusch war so leicht und fein, als hätte diese Gestalt kaum Gewicht und würde fast schwerelos über die alten Dielen gleiten.
Jetzt war wieder dieses Flüstern zu hören. Verschiedene dünne, zarte Stimmchen plapperten durcheinander. Er konnte kein einzelnes Wort heraushören, aber es schien so, als würden sie etwas fröhlicher klingen.
Nun kam noch jemand anderes hinzu. Es klang, als käme es aus einer Ecke des Zimmers und würde sich von dort über den Boden bewegen, bis hin zu der Stelle, wo er am Fenster stand. Aber diese Gestalt, was immer es war, bewegte sich ungeheuer langsam, als bedeutete jeder einzelne Schritt eine ungeheure Anstrengung. Es war auch ein anderes Geräusch, die Schritte klangen härter, hohler und hölzerner, als würde diese Person Schuhe mit beschlagenen Sohlen tragen oder Krücken benutzen. Auch schien dieser Jemand sich sehr sorgfältig Schritt für Schritt voranzubewegen und nicht zu schlittern oder zu schlurfen, so wie es bei den anderen geklungen hatte.
»Ich kann euch hören. Sprecht ihr Englisch?«, rief er aus, ohne zu laut zu werden.
Das
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