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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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verschlossen und für immer geschlossen gelassen. Er sah einen langgestreckten rechtwinkligen Dachboden, dessen schräge Seiten über die ganze Länge des Gebäudes liefen. Die Decke war sehr niedrig, und Luke konnte gerade mal in der Mitte aufrecht stehen. Die am weitesten entfernte Ecke des Dachbodens blieb im Dunkeln. Aber sowohl auf der rechten wie auf der linken Seite war wahrhaftig schon genug zu erkennen.
    Das schreckliche Monument im Wald, die Kirche, war ihnen
nicht genug. Aus irgendwelchen Gründen mussten diese Toten nach Hause gebracht und hier aufbewahrt werden.
    Kleine, schmale Körper säumten die Dachschrägen auf beiden Seiten, standen angelehnt da oder hockten mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, und ihre knochigen Beine glänzten wie poliert. Glatte Köpfe ohne Haare neigten sich. Münder hingen offen, und ihre pergamentenen Gesichter wirkten dadurch wie die von Schlafenden.
    Es waren sehr kleine Menschen, deren Kleider im Laufe der Zeit eingeschwärzt waren und an ihren knochigen Körpern klebten oder derart verblichen waren, dass auch die letzte Spur von Farbe aus dem Stoff verschwunden war, der nun schlaff und staubig um die Skelette hing, die sich darunter verbargen.
    Einige der Gestalten waren mit Tüchern zusammengebunden, damit ihre Arme sich nicht vom Körper lösten. Aber ein Stück weiter standen Holzkisten, die bis oben hin mit Knochen gefüllt waren. Hier und da ragten rundliche Schädel hervor, die auf bleichen, geknickten Wirbelsäulen steckten. Von anderen Bewohnern dieses riesigen Reliquienschreins waren nur noch Knochenhaufen, mitunter nur noch Staub und Splitter, übrig geblieben, die sich über den rohen Holzboden verteilten. Es gab auch noch andere Gestalten, die in kleine Kästen gestopft worden waren, deren Überreste größtenteils noch vollständig waren, über deren Knochen sich eine dunkle lederne Haut zog und deren kahle Schädel sich an die mit Schnitzereien verzierten Wände lehnten, als hätten sie sich zur Ruhe gelegt. Eine andere mit Flecken übersäte Gestalt war unbeholfen in etwas eingenäht worden, das wie Birkenrinde aussah. Darin saß sie nun und grinste mit der Fratze des Todes über den Rand dieser urtümlichen Hülle.
    Fenris schob Luke weiter voran, und er bemerkte die Köpfe von einem weiteren halben Dutzend aufrecht stehender Toter, deren Gesichter gelblich verfärbt waren. Lippenlose Mäuler gähnten ihn an und schienen etwas sagen zu wollen. Trübe Augen
starrten vor sich ins Nichts, mit leicht erhobenen Köpfen, als würden sie sich nach ein wenig Licht sehnen. Sie trugen dunkle Gewänder, die wie versteinert wirkten, aber noch nicht hart geworden waren, ihr Fleisch klebte trocken an den dünnen Knochen. Ihre Haut schimmerte und suggerierte eine Geschmeidigkeit, die Luke lieber gar nicht wahrgenommen hätte.
    Am Ende des Dachbodens bemerkte er die alte Frau, deren Gesichtsausdruck nicht zu ergründen war. Sie stand teilweise im Schatten neben zwei kleinen zusammengekauerten Gestalten, die eingehüllt waren in eine schmutzige schwarze Tracht oder eine Robe. Sie saßen auf zwei kleinen Stühlen. Uralten Stühlen. Kinderstühlen. Nebeneinander, wie ein kleiner König und eine kleine Königin, die man als Mumien in ein Grab gesetzt hat, um sie auch nach ihrem Ableben weiter zu verehren.
    Luke erinnerte sich an die Bruchstücke eines Traums, den er kürzlich gehabt hatte. Ihm fielen die Geräusche ein, die Stimmen, die er in der Nacht durch die Decke über sich vernommen hatte. Und nun spürte er sehr deutlich, wie sein gesunder Menschenverstand ihn immer mehr im Stich ließ.
    Und dann begann das Flüstern. Hinter ihm. Um ihn herum. Es schwoll an und ebbte wieder ab, auf und ab, auf und ab. Nicht lauter als das Kratzen von Rattenpfoten auf dem Holzboden, ein leiser dünner Zusammenklang ausgetrockneter Münder, aber dennoch deutlich zu vernehmen. Unmöglich.
    »Det som en gang givits ar forsvunnet, det kommer att atertas« , sagte Loki, der in einer Ecke stand.
    »Det som en gang givits ar forsvunnet, det kommer att atertas« , flüsterte Fenris in sein Ohr.
    Luke sah – oder bildete es sich wohl eher ein, denn so etwas Altes konnte niemals lebendig sein –, dass die Gestalten auf den kleinen Stühlen sich bewegten.
    Er strengte die Augen an, spähte durch das schwache Licht. Und da war es wieder. Das Zucken eines vertrockneten Schädels.
Das sachte Heben eines Kinns. Ein Rascheln wie von altem Papier. Ein Seufzen.
    Fenris stieß ihn näher dorthin, und

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