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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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in die Enge getriebenes Tier. Fenris drückte kräftiger und versuchte, Luke noch dichter an das Ding heranzuschieben.
    »Nay«, sagte die alte Frau.
    »Nay, nay«, sagte Loki.
    Aber Fenris hörte nicht auf sie und schob noch fester, bis Luke beinahe vornüberkippte und zu Boden fiel. Er setzte einen Fuß voran, um das Gleichgewicht zu halten. Sein Gesicht näherte sich den beiden sitzenden Gestalten auf den kleinen Stühlchen.
    Vor sich hörte er ein Geräusch, das wie ein Luftschnappen klang. Das plötzliche heftige Einatmen eines knochentrockenen Brustkorbs. Dann ein leises Knirschen, als sich ein Kieferknochen in einem kleinen fleckigen Gesicht bewegte.
    Die zweite kleine Gestalt schien wie in Zeitlupe den Kopf zu schütteln, als wäre sie aus irgendeinem Grund verwirrt. Dann schlug der Kopf, von dem kaum mehr als ein mit papierähnlicher Haut überzogener Schädel übrig geblieben war, ein Auge
auf. Das Auge war im Zentrum bläulich und milchig trüb an den Rändern. Und feucht.
    Luke holte tief Luft.
    Der Mund der Gestalt ging auf. Die Überreste einer Zunge kamen zum Vorschein, nicht größer als die Schwanzflosse eines kleinen Fischs.
    Beide Gestalten bewegten sich nun auf ihren Stühlen. Sie belebten sich immer mehr, und ihre zunächst kaum wahrnehmbaren Zuckungen wurden zu wirren Bewegungsabfolgen. Er hörte das Schaben von altem Stoff und das Knacken von Knochen in ihren Gelenken. Sie hatten Angst. Oder bewegten sie sich so hektisch hin und her, weil sie einfach nur aufgeregt waren?
    Und dann stand die alte Frau direkt vor den beiden sitzenden Gestalten, schirmte sie ab, streckte beide Arme aus und schob Luke und Fenris mit ihren kleinen Händen von ihnen fort. Ihre schwarzen Augen starrten über Lukes Schulter in Fenris’ Gesicht, und es lag so viel Hass und Abscheu in ihnen, dass man diesen Blick kaum ertragen konnte.
    Sie nahm ihre Hand von Lukes Bauch, gegen den sie gedrückt hatte, und griff blitzschnell unter ihre schmuddlige Schürze, und als die mit Leberflecken übersäte Faust wieder zum Vorschein kam, ragte etwas Dünnes und Scharfes und Glänzendes daraus hervor. Luke schaute es an. Es war eine schwarz angelaufene uralte Klinge, nur wenige Zentimeter von seinem Unterleib entfernt. Das Messer war dünn wie ein Bleistift und sah aus, als gehörte es in ein Museum oder wäre dem Stillleben eines holländischen Meisters entsprungen. Sie machte eine drohende Bewegung damit auf ihn zu.
    Hinter sich hörte er schwere Stiefel näher kommen. Und dann dröhnte Lokis laute Stimme über den Dachboden. Fenris versuchte, Loki auf Norwegisch zu besänftigen. Dann wandte er sich an die alte Frau, wurde lauter, sprach schneller und wütender. Diese wiederum riss den Mund so weit auf, dass ihre
wenigen schwarzen Zähne zu sehen waren, und fauchte Fenris an wie eine wilde Katze.
    Luke wurde jäh beiseitegezerrt und taumelte rückwärts zum Eingang. Er stolperte über den schmutzigen unebenen Holzboden und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Die Laterne ruckte hin und her, verschwand aus seinem Blickfeld und leuchtete dann hinter ihm, flammte auf und rollte unter die Dachschräge. In dem schwachen unsteten Lichtschein sah es aus, als würden all die schmalen Gestalten, die vor der rechten Wand standen, sich wie auf ein Kommando nach vorn beugen, um nach ihm zu greifen, weil sie ihn bei sich behalten wollten.
    Luke wurde von Loki gepackt, umgedreht und zum Ausgang gedrängt. Er taumelte zum Treppenabsatz und spürte, wie er einen Schlag auf den Kopf bekam. Aber er brauchte wirklich keine Aufforderung mehr. Ohne zu zögern, sprang er die Stufen hinunter, rutschte, stolperte und fiel über die eigenen Füße, bis er schließlich am Ende der Treppe auf den Knien landete.
    Dort hielt er inne und redete vor sich hin, sprach mit sich selbst. Und merkte gar nicht, was er da tat.
    Surtr tauchte vor ihm auf und sah genauso verängstigt aus, wie er sich fühlte.
    Er versuchte aufzustehen, war aber so aufgeregt und zittrig, dass er in seiner Panik vornüber fiel und auf dem Gesicht landete. Er knallte mit der Stirn auf den Boden und rutschte mit seiner geschwollenen Nase darüber. Kleine Knochensplitter verschoben sich in dem entzündeten Gewebe, seine Augen verdrehten sich, bis nur noch das Weiße zu sehen war, sein Magen krampfte sich zusammen, die Schmerzen waren unerträglich. Einige Sekunden lang fiel er in Ohnmacht, lag mit dem Mund auf dem Fußboden, erwachte wieder und hielt sich das schmerzende Gesicht mit den

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