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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Händen, die noch immer gefesselt und kaum zu benutzen waren.
    Über ihm wurde laut geschrien: Loki und Fenris. Und noch
etwas anderes war zu hören. Etwas, das noch viel beunruhigender klang. Ein tiefes kehliges Knurren, das sich zu einem Blöken entwickelte. Es klang nicht wie eine Stimme. Es klang überhaupt nicht wie etwas, das aus dem Mund eines Menschen kommen konnte. Und es vermischte sich mit einem Strom von Worten, die sich völlig verdreht anhörten und von unendlicher Qual zeugten. Schon beim bloßen Zuhören wurde einem klar, dass der Sprecher die Grenze zur Hysterie bereits überschritten hatte. Es musste wohl die Stimme der alten Frau sein.

59
    »Jetzt nimmst du uns endlich ernst, hm?« Loki stand über Luke und schüttelte ernst den Kopf, als wäre er schwer enttäuscht.
    Luke schaute ihn aus seinem Bett heraus an, durch das Auge, das noch intakt geblieben war. In seinem Mund spürte er Splitter von Zähnen, die zu Bruch gegangen waren, als er aufs Gesicht gefallen war. Sie fühlten sich an wie Sandkörner. Aber seltsamerweise hatte er überhaupt keine Zahnschmerzen.
    Loki hatte Fenris nach draußen geschickt, damit er sich beruhigte. Als sie vom Dachboden heruntergekommen waren, hatte Loki ihn angebrüllt. Er hatte ihm sogar ein paar Ohrfeigen verpasst, direkt vor Lukes Zimmer, und ihn dann die Treppe hinuntergeschubst. Surtr war dem bockigen Fenris kleinlaut nach draußen auf die Wiese gefolgt. Luke konnte sie jetzt durch das Fenster hören. Stellvertretend für Loki schimpfte sie den Freund aus, der es mürrisch über sich ergehen ließ.
    Loki beugte sich über den Bettkasten, in den Luke sich nach seinem Sturz vom Dachboden zurückgezogen hatte, und band die Fußgelenke seines Gefangenen mit einem neuen Nylonband zusammen. Luke leistete keinen Widerstand, er hatte keine Lust mehr auf weitere Faustschläge und Tritte, er wollte nicht mehr gestoßen und geboxt werden. Aber er fragte sich, ob sie die dünnen weißen Plastikbänder hier irgendwo gefunden oder mitgebracht
hatten. Vielleicht hatten sie die Dinger ja schon einmal benutzt, um andere Menschen zu fesseln, die sich hier im hohen Norden verlaufen hatten. Der Gedanke machte ihn schwach und nervös, regte ihn so sehr auf, dass er beinahe hyperventilierte.
    Die Schmerzen, die von seiner grauenhaften Kopfwunde ausgingen, waren etwas zurückgegangen, aber das war auch schon das einzig Positive. Ansonsten befand er sich in einer absolut jämmerlichen und bemitleidenswerten Lage, auf die er keinen Einfluss hatte.
    Loki setzte sich auf das Fußende des Bettes. Er hatte Schwierigkeiten, sich klar zu äußern, und keuchte vor sich hin. Es klang, als hätte er Asthma. So wie Phil. Der arme Phil.
    »So, jetzt weißt du Bescheid, Luke aus London. Jetzt weißt du, dass du nichts bist. Nur ein armseliger Wurm im Vergleich zu dem, was hier ist.« Er deutete mit seinem langen Finger zur Decke. Dann sah er zu dem kleinen Fenster und hob den Arm, um auf die Uhr schauen, deren Zifferblatt zwischen zwei Armbändern zu sehen war. Wieder warf er Luke einen aufgeregten Blick aus seinen kalten blauen Augen zu und sagte: »Sie kann es rufen, verstehst du? Wir wissen, dass sie es kann. Und sie weiß, dass wir es richtig ernst meinen. Sie hat uns versprochen, es zu rufen. Für uns. Und für dich, Luke. Heute Abend werden wir es wieder versuchen.«
    Loki verzog sein Gesicht zu einem dämonischen Grinsen und streckte die dunkelrote Zunge heraus. »Du darfst dich wirklich glücklich schätzen. Heute Abend noch wirst du einen echten Gott kennenlernen. Und du wirst die wahre Bedeutung des Wortes Blutrausch erfahren. Du hast mir wirklich verdammt viel Ärger gemacht. Aber wenn alles vorbei ist, werden wir alle sehr glücklich sein. Mach deinen Frieden mit deinem toten Gott, Luke. Schon bald wirst du deine Freunde wiedersehen, glaub mir.«
    Loki stand auf und ging.

    Luke starrte eine ganze Weile ins Leere, unfähig irgendetwas in seiner Umgebung genauer zu fixieren. Über sich auf dem Dachboden hörte er gelegentlich die kleinen Füße der alten Frau umhertrippeln. Seit dem Streit war sie noch nicht wieder heruntergekommen. Offensichtlich liebte sie diesen schrecklichen Dachboden und die Wesen dort oben. Aber Luke wusste, dass ihn keine zehn Pferde mehr hinaufbringen würden.
    Nach einer Weile begann sie zu weinen. Zwischen den Schluchzern sprach sie in ihrer uralten trällernden Sprache mit den Wesen, die sich in der staubigen Dämmerung um sie herum befanden. Luke konnte

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