Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Dolch. Er war so schnell in seiner schmalen femininen Hand und dem Raum und Lukes Leben aufgetaucht, dass Luke sofort wusste, er konnte damit umgehen. Und er hatte ihn schon benutzt. Es war seine Lieblingswaffe, er nahm sie sogar mit ins Bett.
Luke verlor schlagartig allen Mut. Gerade mal so weit war er gekommen. Nur so weit, und nun standen sie ihm schon wieder im Weg.
Er sprang auf Fenris zu, das Messer stoßbereit in der Hand. Dann zögerte er, einen Schritt bevor er ihn erreicht hatte. Es war eine Zeitspanne, die viel zu kurz war, als dass man sie mit einer normalen Uhr hätte messen können. Er fragte sich, wie man es wohl tat, wie man mit einer Klinge in einen lebendigen menschlichen Körper stach. Sogar jetzt, nach allem, was er durchgemacht hatte, war die Mordgier in ihm noch nicht erwacht. Das kurze Innehalten reichte Fenris, um grinsend den schmalen, blassen Arm zu heben.
Luke zuckte zusammen, sprang zur Seite. Dann stockte ihm der Atem, als er spürte, wie der Dolch direkt am Hüftknochen durch den Stoff seines Kittels drang. Er spürte, wie die kalte Klinge in sein Fleisch eindrang, fühlte den Schnitt und einen brutalen Schmerz, der seinen Oberschenkel durchzuckte. Er blickte an sich herab und sah, wie sich alles rot verfärbte und das Blut sich über sein Bein ergoss. Er begann zu zittern.
Fenris grinste böse und drehte den Dolch in der erhobenen Hand, bereit erneut zuzustechen. Luke schaute in die kalten blauen Augen des Jungen und war viel zu wütend, um atmen zu können. Das hatte er nicht gewollt. Nur weil er einen Moment lang gezögert hatte, musste er nun sterben, hier in dieser dreckigen Küche. »Scheißkerl«, stieß er hervor und spuckte Fenris ins Gesicht. Der musste blinzeln. Aber dann holte er mit seinem dünnen tätowierten Arm aus und stach zu.
Luke tauchte unter seinem Ellbogen durch, packte das schmale, mädchenhafte Handgelenk mit einer Hand, so wie er einen Kricketball in der Luft auffing, wenn er richtig in Form war – dann landete der Ball in seiner Hand, ohne dass jemand die Armbewegung überhaupt bemerkte. Mit der anderen Hand stieß er zu, und die Klinge drang in das magere Fleisch ein. Erst als sein Daumen und die Knöchel gegen den flachen Bauch des Jungen stießen, hielt er inne und trat zurück.
Fenris schnappte nach Luft. Sah überrascht an sich herab. Er verzog sein verschmiertes Gesicht, als wollte er heulen, als wäre er bitter enttäuscht darüber, dass es schon vorbei war, als beklagte er sich darüber, dass ihn jemand betrogen hatte.
Luke sprang auf das Gewehr zu. Um sich herum hörte er diffus die Schreie von Fenris, das Keuchen seines eigenen Atems. Beim Anblick des Blutes war ihm schwindelig geworden. Sein Bein war voll davon. Auch zwischen den langen dünnen Fingern von Fenris quoll es rot hervor, so sehr er auch auf die Wunde drückte, um es zu stoppen.
Das Gewehr war sehr schwer. Unhandlich. Luke hob es an, versuchte zu zielen und ließ es beinahe wieder fallen. Seine Hände zitterten viel zu sehr, er konnte es nicht ruhig halten, und es gelang ihm auch nicht, den Finger um den Abzug zu legen.
Fenris heulte laut auf. Sein Gesicht war eine Maske der Wut und des Selbstmitleids. Er war jetzt in Panik. Die alte Frau sah völlig teilnahmslos aus ihrem kleinen Holzkasten heraus, als
wunderte sie sich über das seltsame Benehmen der beiden Männer.
Fenris gelang es, die Füße vom Schlafsack zu befreien, und er kam auf ihn zu. Luke zwang seinen Finger durch den Abzugsschutz und richtete den Lauf auf Fenris.
Der Junge blieb nicht stehen.
Luke drückte den Abzug durch. Er klemmte. Er drehte das Gewehr herum, um mit dem Kolben zuzuschlagen, aber der lange Lauf stieß gegen die Wand. Seine Ungeschicklichkeit und die Unfähigkeit, seine Bewegungen zu koordinieren, machten ihn wütend. Seine Arme fühlten sich an, als flösse warmes Wasser hindurch.
Er riss die Waffe zur Seite und schlug Fenris’ schmale Hand weg, die gerade mit dem Messer auf ihn zustieß. Die Messerspitze schlitzte Lukes Bizeps auf und verpasste ihm einen Schnitt oberhalb der Brustwarze. Es fühlte sich an wie eine sehr tiefe Fleischwunde. Das schien ihn endlich aufzuwecken. Mit seinem rechten Fuß trat er gegen Fenris’ Seite, genau dort, wo die Wunde war.
Der Junge prallte zurück und presste seine blutroten Hände auf den Magen. Luke sprang zur Seite auf die Schränke zu, die neben dem Fenster standen, um mehr Platz zu haben und zu Atem zu kommen. Er warf einen Blick auf das Gewehr. Er
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