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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Überkochen zu bringen. Er musste einfach noch ein bisschen Gas geben. Und zwar jetzt. Sein Leben hing davon ab, ob es ihm gelang. Und er musste diese
zerstörerische Energie immer weiterfließen lassen, bis er tot war oder sie tot waren.
    Es war unvorstellbar, aber zugleich unausweichlich.
    Doch es würde nicht einfach so funktionieren. Vorher musste er einen Rollentausch vornehmen. Doch ihren Platz einzunehmen, war nicht einfach. Er musste sich von einem Moment zum anderen in einen gewalttätigen Angreifer verwandeln.
    Er schloss die Augen. Stellte sich ihre grässlich bemalten Gesichter vor, das triumphierende Grinsen dieser verbitterten, eifrigen, absichtlich idiotischen, grausamen Leute. Man konnte kein Verständnis für sie haben. Warum sollten sie leben dürfen und er nicht? Warum?
    Sie hatten schon längst den Tod verdient. Er wollte, dass sie starben. Er wollte, dass ihr jugendliches vergiftetes Blut vergossen wurde. Und er wollte, dass dieser erbärmliche Ort vom Erdboden verschwand. Blut und Boden. Ja, da hatten sie Recht. Ragnarök musste kommen, aber es würde schneller kommen, als sie erwarteten. Er würde ihnen ihr Blut und ihren Boden geben.
    Um seine Blöße zu bedecken, zog er sich wieder das blutbefleckte Gewand an. Es roch nach Rost. Dann setzte er sich selbst die Krone auf, wie die alte Frau es gewünscht hatte.
    Aber wenn er sie überwältigt hatte … Der schreckliche finstere Wald kam ihm wieder in den Sinn und das Ding, das darin sein Unwesen trieb. Luke erschauerte. Er schloss die Augen.
    Auf allen vieren kroch er auf die Tür zu.
    »Eins nach dem anderen, mein Freund«, sagte der Teil in ihm, der sich von allen anderen Stimmen frei gemacht hatte.

65
    Die Tür seines Zimmers war nicht verschlossen. Als er sie öffnete, erwartete er, dass jemand mit einem bemalten Gesicht grinsend hereinstürzte. Oder zumindest, dass jemand draußen im Schatten auf ihn wartete. Aber im Korridor war niemand zu sehen.
    Vorsichtig trat er aus dem Zimmer in den dunklen Hausflur. Wollte die Tür hinter sich zuziehen, hielt aber inne, als die alten Türangeln knarrten. Er ließ sie offen stehen.
    Er horchte so intensiv wie noch nie in seinem Leben. Irgendwo tropfte etwas monoton und kaum hörbar vor sich hin. Vom Dach her kam ein leises Quietschen, dann ächzte eine uralte Holzplanke unter seinen schmutzigen Füßen. Das Haus schien sich immer irgendwie zu bewegen, und die müden Balken schienen Mühe zu haben, das jahrhundertealte Gewicht zu halten.
    Am einen Ende des schmalen Gangs war die kleine Tür zu sehen, die zum Dachboden führte, auf den sie ihn vor zwei Tagen gezerrt hatten. Zwischen ihm und der Treppe nach unten befand sich noch eine weitere Tür. Er erinnerte sich an die Schritte, die er in der Nacht gehört hatte. In diesem Zimmer schlief jemand, genauer gesagt zwei von ihnen.
    Er ging dicht an der Wand entlang über den schiefen Boden und näherte sich mit eingezogenem Kopf dem Treppenabsatz.
Es kam ihm vor, als würde er sich auf einem der unteren Decks in einem alten Schiff bewegen. Ganz vorsichtig ging er Schritt für Schritt weiter, dennoch knarrte der Holzboden unter seinen Füßen. Einmal, als er direkt unter der Öllampe stand, verlor er beinahe das Gleichgewicht.
    Gegenüber der Schlafzimmertür hielt er inne und horchte so intensiv, dass er das Gefühl hatte, sein Bewusstsein schickte Sensoren in den Raum, um dort nach Geräuschen zu tasten wie ein Blinder.
    Ruhe. Schweigen.
    An der Treppe wagte er endlich, zu schlucken und Luft zu holen. Sein Kopf tat weh, ein unangenehmer Schmerz pochte von innen gegen seine Stirn.
    Nun stieg er die Treppe hinab. Er bekam eine Gänsehaut dabei, als stiege er in kaltes Meereswasser. Je weiter er sich von seinem Zimmer entfernte, umso mehr musste er gegen den Drang ankämpfen, einfach loszurennen und abzuhauen. Seine Fußknöchel schmerzten, die Muskeln und Sehnen in seinen Waden versagten den Dienst und er drohte umzukippen. Er biss die Zähne zusammen. Warum nur wollte sein Körper ihm nicht gehorchen?
    Er erreichte den Fuß der Treppe. Er spähte umher und horchte. Wo waren sie?
    Die alte Frau mit dem lauten Schritt würde nicht dulden, dass er einfach weglief. Sie wollte, dass er etwas für sie erledigte. Und wenn er direkt in den Wald rannte, was hatte er schon davon? Dann würde das Ding kommen. Sie konnte es ja rufen.
    Der Wagen. Schlüssel. Die Autoschlüssel.
    Wenn sie nur gewollt hätte, dass er flüchtete, hätte sie ihm die Autoschlüssel

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