Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
zusammen mit dem Messer gegeben. Aber er konnte jetzt nicht einfach in ein Zimmer eindringen und einen schlafenden Menschen erstechen. Der Gedanke daran verursachte ihm Übelkeit und Schwindel. Er lehnte sich gegen
die Wand der engen Diele. Starrte auf das nackte Holz, das mit Rußflecken übersät war oder an manchen Stellen einfach nur vom Alter geschwärzt.
Dann schlich er auf nackten Sohlen weiter, unter einer zweiten von Staub überzogenen Öllampe hindurch, und betrat das Wohnzimmer, das eine eigene Welt darstellte.
Die Wände bestanden aus dunklem Holz. Unter der durchhängenden Decke zogen sich von der Feuchtigkeit gezeichnete Balken entlang. Durch zwei kleine verschmutzte Fenster drang trübes gelbliches Licht. Es roch nach feuchtem Holz und kaltem Rauch.
Die Wände wurden größtenteils bedeckt von uralten Gegenständen wie Hufeisen und bleichen Tierknochen. Noch so ein Leichenhaus mit Gebeinen und sonstigen vermoderten Dingen aus dem Wald. Schädel von Mardern oder Eichhörnchen, Hirschgeweihe, der Kopf eines Bären, das alptraumhafte Grinsen eines Elches. Alles glotzte ihn leer aus eingetrockneten Augen an.
Die Möbel waren selbst gefertigt und einfach. Jagdgeräte lagen in einem schweren Schrank. Die schwarze Klinge einer Axt. Ein Schildbuckel. Spitzen von Speeren und Pfeilen, Messer. Andere verrostete Metallteile, die aussahen wie Haken oder Schneiden. Er entdeckte eine ovale Brosche, auf der das Bild eines springenden Tiers zu sehen war. Bunte Glasperlen, einen Messingteller mit einem blauen Fenster, in das ein Mosaik aus rotem, weißem und gelbem Glas eingelegt war. Eine Ansammlung von runden flachen Steinen, die abgenutzt aussahen und möglicherweise als Wetzsteine gedient hatten. Andere Dinge, die aus Steinen oder Knochen hergestellt waren, kamen ihm einfach nur rätselhaft vor, manches war so ausgebleicht, dass es an Treibgut am Meeresstrand erinnerte. Er suchte den Boden ab, die Wände und den Tisch. Er suchte das Gewehr.
Der Boden unter seinen Füßen war bedeckt von schmutzigem Stroh, auf dem abgetretene schimmelige Felle lagen. Diese
zerfetzten Überreste vor langer Zeit erlegter Tiere erinnerten ihn schmerzhaft an die grausigen Funde, die in den Bäumen im Wald gehangen hatten.
Nichts in diesem Zimmer konnte ihm irgendwie von Nutzen sein. Keine Kleider waren zu sehen und auch kein Gewehr. Er drehte sich um und ging wieder in den Flur. Als er zum Treppenabsatz aufblickte und die düsteren Schatten wahrnahm, bekam er plötzlich Angst. Irritiert blickte er nach rechts, ging weiter und betrat die Küche.
Und da war Fenris. Hier in der Küche, gleich vor ihm. Der Raum war größer, als Luke erwartet hatte. Und lang gestreckt. Der Fußboden aus unebenenen Schieferplatten war hart und kalt. Fenris lag in einem Bettkasten, der in den Küchentisch eingelassen war, in einem roten Schlafsack. Neben dem Bettkasten lag ein Holzbrett, mit dem man ihn tagsüber abdecken konnte, wenn er nicht als Bett benutzt wurde. Das verschmierte Gesicht von Fenris glotzte ihn aus dem Schlafsack heraus an, seine blauen Augen waren weit aufgerissen.
Sein Blick richtete sich nach unten, und er bemerkte das Messer in Lukes Hand. Dann starrte er ihm wieder ins Gesicht, beinahe schon traurig und voller Erwartung. Aber was erwartete er denn?
Fenris genietete Stiefel standen neben einer Holzbank auf dem Boden. Luke schaute sich hastig in der Küche um. Es gab einen Eisenherd mit einem schwarzen Rauchfang, einen dunkelbraunen Schrank, einige Töpfe und Holzteller, eine zweite Tür. Und eine Art Krippe, die reich verziert war, in der die alte Frau in ihrem verblichenen schwarzen Kleid hockte wie eine Katze. Auch sie starrte ihn an, gespannt auf das, was er als Nächstes tun würde. Was wollten diese Leute denn bloß von ihm?
Und dann sah er es. Das Gewehr lehnte an der Wand neben der Tür, durch die er gerade gekommen war. Fenris wiederum hatte bemerkt, dass er es entdeckt hatte. Die Welt verzerrte sich
und schien zu beben, es war, als würde die Zeit auf einmal viel schneller ablaufen.
Fenris schwang seine Beine aus dem Bettkasten, sprang vom Tisch und richtete sich auf. Er steckte noch immer in seinem Schlafsack, der nun herunterrutschte und um seine Füße herum liegen blieb. »Guten Morgen, Luke. Na, willst du nach London abreisen? Du trägst ja dein Schwuchtelkleid. Siehst echt gut damit aus.«
Er hatte in seiner Lederhose geschlafen und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »Bathory«. In der Hand hielt er den
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