Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
wegkommen wollten, schien für Hutch körperlich spürbar zu sein und seine Gedanken zu infizieren. Die meiste Zeit, während er über eine Lösung ihres Problems nachgrübelte, vermied er den Augenkontakt mit den anderen.
Wieder wurden ihre Pläne durchkreuzt. Sie sollten eigentlich in südwestliche Richtung laufen, um ihr Abdriften nach Osten vom Vorabend zu korrigieren. Das Ende des Waldes konnte eigentlich nicht weiter als sechs oder sieben Kilometer entfernt sein, aber nur, wenn sie in südwestlicher Richtung gingen und sich irgendwann nach Süden wandten. Ganz bestimmt war es falsch, sie weiter nach Norden zu führen. Vermutlich würde Dom mit seinem schlimmen Bein nicht länger als einen halben Tag durchhalten.
»Gib mir die Machete, und dann geht’s los«, sagte Hutch, der
an der Südseite der Wiese ein Stück weit von Dom entfernt am Waldrand stand.
»Aber woher denn?«, rief Dom mit schriller Stimme aus. »Wie zum Teufel sollen wir jemals hier rauskommen?«
Von der anderen Seite der Lichtung kam Luke herübergerannt und stellte sich hinter Hutch. »Was gefunden?«
Hutch, der sich über einen verrotteten Baumstamm gebeugt hatte, trat einen Schritt zurück. »Hier eher nicht. Das ist alles Gestrüpp. Voll mit Ästen und Baumstämmen. Sogar die Bäume, die aufrecht stehen, sind tot. Man kann nicht weiter als fünf Meter sehen. Das ist schlimmer als alles, was wir gestern vor uns hatten.« Als hätte es sich über Nacht aufgebaut, hätte er beinahe gesagt, denn ihn übermannte eine paranoide Verzweiflung, weil alle Erwartungen sich auf ihn richteten. »Da kommen wir niemals durch. Wir können es versuchen, aber wir werden höchstens ein paar Meter in der Stunde schaffen.«
Dom fasste ins Weidengestrüpp und zerrte daran, verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Warum denn? Warum ist das hier so?« Ein Ast ließ sich ein Stück weit verbiegen, widerstand ihm dann aber, und seine Hand brannte, als sich grünlicher Saft darauf ausbreitete. Dom ließ ihn los und trat mit dem Fuß dagegen. Dann schrie er auf vor Schmerz. »Scheiße! Und was ist jetzt mit deiner großartigen Ankündigung, in dieser Gegend könne man sich frei bewegen? Wie soll man denn durch dieses Gestrüpp durchkommen?«
»Das ist eben ein unberührter jungfräulicher Urwald.«
»Unberührt? Der ist absolut tot, Hutch. Und jungfräulich ist hier gar nichts.«
Hutch sah in Lukes müdes Gesicht. »Luke, spendier uns mal ’ne Zigarette.«
Luke reichte ihm sein Päckchen Camels. Hutch beugte sich vor und gab sich mit dem Zippo Feuer. Er nahm einen tiefen Zug und wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er seinen
Handrücken anschaute und das Gesicht verzog. »Irgendwas hat mich gestochen. Verdammte Mücken!«
»Wenn der Wald nicht so feucht wäre, würde ich ihn einfach anzünden«, sagte Dom. Gebückt, die Hände auf die Knie gestützt, wirkte er wie ein Bild der Hoffnungslosigkeit. »Wir sollten uns eine Schneise durchbrennen. Der ganze verdammte Wald sollte niedergebrannt werden.«
Hutch stieß eine Rauchwolke aus und seufzte. Er blickte auf seine Hände. Die Fingerspitzen zitterten noch immer. Er schluckte. »Das hat es noch nie gegeben. Es wurde noch nie eine Schneise hier durchgeschlagen. Das ist ja gerade der Punkt.«
Unter dem Schmutzfilm und den Spuren der nächtlichen Tränen unter seinen Augen wurde Doms Gesicht weiß vor Wut. Keiner von ihnen hatte sich in den letzten zwei Tagen die Hände oder das Gesicht gewaschen. »Warum zum Teufel hast du uns dann hierhergeführt, wenn man da überhaupt nicht durchgehen kann?«
»Ich hatte nie vorgehabt, hier reinzugehen. Ich wollte nur ein bisschen von der Wildnis sehen. Den hohen Norden. Etwas Ursprüngliches. Und einfach eine Abkürzung nehmen.«
»Das ist wirklich total ursprünglich hier. So ursprünglich, dass kein Arsch, der noch halbwegs richtig im Kopf ist, hier seine Ferien verbringen würde.«
»Das tun ja auch nur wenige. Jedenfalls in dieser Gegend. Nur Wissenschaftler und Naturschützer kommen so weit, schätze ich. Wir sind halt zufällig hier hingeraten. Wegen der Abkürzung. Wir wollten doch einfach nur gerade durch.«
»Gerade durch, leck mich am Arsch, Hutch. Wir hängen fest. Wir sitzen wie die Ratten in der Falle!«
Hutch seufzte. Er warf Luke einen hilfesuchenden Blick zu, was er während ihrer bisherigen Wanderung weitgehend vermieden hatte, um nicht dieses Bündnis zu schaffen, das Luke
sich offenbar wünschte. Hutchs Stimme klang schwach und dünn, als
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