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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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dasitzend, viel zu ängstlich, um sich zu bewegen, horcht er. Strengt seine Ohren an und versucht, irgendetwas in der Dunkelheit zu vernehmen.

    Und da ist es. Ein Ton, ganz schwach und kaum von dem Rhythmus der aufs Dach und gegen die Wände prasselnden Regentropfen und dem gelegentlichen Knarren dieser uralten Behausung inmitten des feuchten Urwalds zu unterscheiden. Ein Schluchzen. Jemand weint. Im oberen Stockwerk. Er sieht zur Decke und schluckt die Angst hinunter, die sich in seiner Kehle festgesetzt hat.

13
    Du liegst auf den Knien und weinst. Heftiges Schluchzen quält sich aus deiner schmerzenden Brust. Deine Augen sind trocken, du hast alle Tränen vergossen. Aus deiner Kehle dringt kratziges Stöhnen, es klingt fremdartig in deinen Ohren. Du weinst, weil du weißt, dass dies das Ende ist. Dein Leben hört jetzt auf, an diesem dunklen, übel riechenden Ort, der überhaupt keinen Sinn ergibt. Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, und es gibt auch keinen Ausweg. Aber deine Qualen durchdringen es nicht vollständig. Es hockt da vor dir auf diesem schäbigen hölzernen Thron, seine langen Hörner majestätisch zur Decke gestreckt, als gehörten sie zu einer Art Krone. Es starrt dich mitleidlos an, triumphiert angesichts deiner Schande, während du auf dem dreckigen Holzboden kauerst. Seine Arme recken sich dem Dach entgegen, als würde es auf eine grässliche Art jubilieren.
    Deine Unterwäsche ist nass, deine Beine klebrig.
    Jemand ruft nach dir. Dort hinten …
    »Hutch. Hutch. He, Kumpel, was ist denn los? Was ist? Wo sind denn die anderen?«
    Die Stimme klingt vertraut, aber Hutch kann nicht antworten, weil es zu spät ist und er hier auf sein Ende warten muss. Es dauert nicht mehr lange.
    Eine Hand legt sich auf seine Schulter und schüttelt ihn.
»Wach auf, Hutch, wach auf. Es ist nur ein Traum, Kumpel, ein Traum. Du weißt gar nicht, wo du bist. Wach auf. Es ist vorbei. Komm schon, Mann!«
    Hutch hebt den Kopf, hält aber seinen Blick gesenkt, um nicht das schreckliche schwarze Ding vor sich anschauen zu müssen. Er sieht auf und wendet sich der Stimme zu. Er spürt das Salz seiner getrockneten Tränen auf den Wangen. Luke.
    Als er seinen Freund wiedererkennt, verzerrt sich sein Gesicht, und er wäre in Tränen ausgebrochen, wenn er noch welche übrig gehabt hätte. Sein Mund fühlt sich heiß und salzig an, weil er so viel geweint hat. Aber warum? Warum hockt er hier in seinen Boxershorts zitternd in der Dunkelheit, nassgepisst und schluchzend? Er sollte sterben. Nachdem er eine endlos lange Zeit in Todesangst verbracht hatte. Hutch kneift mühsam die Augen zu und versucht, sich gewaltsam an den Traum zu erinnern, der ihn so in Angst versetzt hat.
    Ein Gefühl von Lächerlichkeit durchströmt ihn, wärmt seine Wangen und seine Haut. »Was zum Teufel ist denn los?« Er dreht sich um und blickt auf das, was ihm diese Angst eingejagt hat. Im düsteren Zwielicht, das nur durch zwei Ritzen im Dach erhellt wird, kann er die Umrisse erkennen. Lange Gliedmaßen und Hörner, ein erwartungsvoll angespannter Körper.
    Aber das Ding lebt doch gar nicht mehr. Nein, es ist doch bloß ein Tier. Ausgestopft und von Mäusen zerfressen. Das Überbleibsel eines kranken Irrsinns, zurückgelassen auf einem baufälligen Dachboden in einer verlassenen Hütte im Wald. Er schaut zu Luke hoch und schüttelt den Kopf.
    Luke sieht ihn an, er ist völlig verwirrt und verängstigt. »Wir müssen so schnell wie möglich hier weg. Jetzt gleich.«
    Hutch nickt und streckt die Hand aus, um sich an seinem Freund abzustützen. Luke fasst ihn am Arm und zieht ihn hoch.
    »Wo sind denn die anderen?«, fragt Luke. »Wir müssen sie suchen. «

14
    Sie fanden Dom draußen, er kniete, nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet, im hohen nassen Gras. Mit glasigen Augen starrte er in die Bäume. Sein ganzer Körper zitterte erbärmlich in der morgendlichen Kälte.
    Keiner der beiden wagte, ihn zu berühren. Hutch und Luke hatten ihn noch nie in so einer Verfassung gesehen. Seine Lippen waren dunkel, sein Gesicht schmutzverschmiert und darunter völlig bleich, wegen der Kälte und dem, was er gesehen oder geträumt hatte, genau wie sie auch. An den Seiten, wo seine Tränen aus den Augenwinkeln in einem heißen, salzigen Rinnsaal über die unrasierten Wangen geflossen waren, war sein Gesicht eigenartig rosa verfärbt. Er bemerkte sie offenbar gar nicht. Er kniete reglos da und murmelte vor sich hin, während die beiden bebend neben ihm standen,

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