Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
bereit zum Zuschnappen, ragen aus einem Rachen, dessen Zahnfleisch schwärzlich glänzt wie bei einem wilden Hund.
Also halte lieber die Augen geschlossen, wenn dein Ende naht. Ein solches Maul willst du nicht aus der Nähe betrachten. Bevor es zubeißt, bevor es sich in die weichen Teile deines Körpers versenkt, werden die fleckigen Lefzen sich in bestialischer Vorfreude kräuseln. Das weißt du auch, ohne es zu sehen.
Es kommt. Du kannst es hören. Das Brüllen eines Ochsen verwandelt sich in ein nasales Winseln. Ein Luftzug, der aus feuchten Nüstern dringt. Ein hündisches Knurren, und fast schon siehst du die Klauen vor dir, bevor das tiefe Röcheln sich in höhere Tonlagen schwingt, durch die Oktaven hindurch, bis es in diesem teuflischen Jipp-jipp-jipp gipfelt, das dich schon seit Stunden umkreist. Es ist auf der Pirsch, angetrieben durch den salzig-mineralischen Geruch deiner Angst, der von dir ausging, während du dort oben in der Luft hingst. Es ist versessen auf dein frisches Blut, bäumt sich auf in wilder Lust und giert danach,
sich die wehrlose Beute einzuverleiben. Du spürst, wie es erwartungsfroh immer näher kommt.
Jetzt schreist du auf. In die Dunkelheit hinein. Nach oben, nach hinten, nach vorn und nach unten. Du schreist, bis deine Kehle wund ist. Schreist, so laut du kannst, aber vergeblich, denn es ist niemand da, der dich hören könnte.
Die Luft über dir steht plötzlich still, scheint angesichts der grausigen Erwartung wie in einem Vakuum zu verschwinden. In deiner Vorstellung, hinter deinen geschlossenen Augen, spannen sich seine Muskeln an. Sie sind so dick und faserig wie Schiffstaue. Der lange Hals stößt nach vorn, durch die Dunkelheit, durch deine Gedanken. Zwei mit Flecken übersäte Knochenspeere senken sich herab. Schwarze Hörner. Noch schmutzig und besudelt vom letzten Tötungsakt.
Ein letzter Hauch stinkenden Atems, viehisch und heiß, der Geruch verdorbenen Fleischs umfängt dich von hinten. Ein widerlicher Luftzug, der aus einem entsetzlich langen, mächtigen unsichtbaren Schatten dringt und deine Nervenstränge von den Muskeln bis in die Wirbelsäule ein letztes Mal unter beißendes Feuer setzt. Um deinen letzten unerträglichen Schmerz zu speisen, wenn die Stacheln sich in deinen Körper eingraben. Die Stöcke. Die hölzernen Spieße. Hart wie Elfenbein. Überall diese Stöcke.
Erwacht. Inmitten der Dunkelheit, leise wimmernd. Zitternd, als wärst du aus einem nasskalten Sturm hereingekommen. Dein Atem geht stoßweise und pumpt die abgestandene Luft in deinen Körper, die sich jahrzehntelang angesammelt hat und modrig riecht wie in einem alten Keller, dazwischen der Geruch nach verschimmeltem Holz und feuchtem Staub, der von irgendwo aus dem lichtlosen Raum zu dir dringt.
Wo bist du? Ein Luftstrom gleitet über dein Gesicht, oder ist das nur Einbildung?
Schmerzen. Dein Rücken und deine Schultern liegen auf dem harten Holzfußboden und tun weh, und du schaust nach oben ins Dunkel. Du bewegst deine Arme und verursachst ein Rascheln. Du liegst im Schlafsack. Es ist der Schlafsack, den du auf die Isomatte gelegt hast, nachdem du sie auf Knien rutschend auf dem schmutzigen Holzboden ausgerollt hast. Du schnappst nach Luft und richtest dich auf. Mit den Handflächen tastest du das raue Holz ab, auf dem du gelegen hast.
Luke. Mein Name ist Luke, und ich liege hier auf dem Boden. In diesem Haus. Die Hütte, die wir in diesem düsteren Wald gefunden haben …
Sein Atem verlangsamt sich. Er hört auf zu keuchen. Die Stöcke sind weg. Er wird gar nicht gejagt. Es war nur ein Traum, sonst nichts. Aber seine Haut schmerzt überall, als wäre sie von einer Unzahl von Stacheln, Dornen und kratziger Baumrinde aufgeritzt worden und rau geworden wie ein mit Seepocken übersäter Schiffsrumpf. Das muss wohl eine Folge des gestrigen Marsches sein. Das endlose, erschöpfende Sichdurchschlagen durch den feuchten Wald.
Er blickt sich um und bemerkt den rötlichen Schimmer im Ofen und erinnert sich daran, wie Hutch ihn am Abend angefeuert hat. Schwierig zu sagen, wie spät es ist, denn die Fenster sind geschlossen, die Tür ebenfalls. Kein Licht dringt durch das Dach im Obergeschoss und ergießt sich über die Treppe. Wo ist denn nur seine Uhr?
Und wo sind die anderen?
Um ihn herum, im schwachen rubinroten Schein liegen drei leere Schlafsäcke, alle aufgezogen und aufgeklappt, daneben die Rucksäcke und ein Teil ihres Inhalts, der aus ihnen herausgefallen ist.
Ganz still
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