Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
Hand gegen den Torbogen, als wollte er prüfen, ob der Rest des Gebäudes zusammenbrach oder noch hielt.
Auf zwei Ziegeln des Bogens konnte man Einkerbungen erkennen, die offenbar die Form von Menschen oder Tieren hatten,
aber sie waren so sehr von Flechten überwuchert, dass man, auch nachdem Hutch mit seinem Taschenmesser daran herumgekratzt hatte, nur ahnen konnte, was sie wohl darstellen sollten. Runen und andere nicht entzifferbare Einkerbungen umrahmten die Wesen und Figuren in der Mitte jedes Pfeilers. Räder mit eckigen Markierungen waren in den abgenutzten Kalksteinbogen oberhalb der Granitpfeiler eingeritzt. Und darüber war der Durchgang einst wohl von einem Holzbalken gekrönt worden, der jetzt aber so verrottet war, dass nur noch feuchte vergammelte Überreste davon vorhanden waren.
Im Innern der Kirche waren die Wände früher einmal verputzt gewesen. Das meiste von diesem Putz war abgefallen und hatte die darunterliegenden Granitblöcke freigelegt. Die Steine waren mit milchig-grünen Flechten bedeckt. Zwei Reihen schiefer, von der Feuchtigkeit arg in Mitleidenschaft gezogener und von schwärzlichen Schimmelpilzen überwucherter Holzbänke waren noch immer zu einer Kanzel hin ausgerichtet, die aussah wie ein Klumpen roh behauener Steine, der irgendwie am Gemäuer klebte. Auf dem Altar lagen abgestorbene Äste. Der Boden war kniehoch mit welken Blättern bedeckt, die durch das löchrige Dach hereingefallen waren.
»Eine kleine Gemeinde«, stellte Hutch fest. »Wahrscheinlich nicht mehr als zwanzig Mitglieder.«
Luke brachte kein Wort heraus. Die Anwesenheit von Dom, der irgendwo hinter ihm stand, war ihm äußerst unangenehm. Er spürte sie in seinem Rücken, die brodelnde Wut und auch die Trauer über das, was geschehen war.
»Merkwürdig. Wirklich merkwürdig.« Hutch trat durch den Torbogen in die Kirche. Luke folgte ihm. Der Fußboden fühlte sich unter seinen Sohlen schwammig an, beinahe beweglich, als würde er auf einer Art Matratze laufen. Er fiel schräg ab.
Und dann stürzte Hutch mit einem Mal zur Seite und blieb liegen, nachdem seine Beine hinter der ersten Reihe der Kirchenbänke
bis zu den Oberschenkeln in den von einer Blätterschicht bedeckten Fußboden eingesunken waren. »Verdammter Mist!« Er bewegte sich nicht. »Ich bin durch den Boden gekracht. «
Luke schaute erschrocken vor sich auf den Boden. »Alles okay mit dir?«
Hutch antwortete nicht und bewegte nur seinen Kopf. Er sah nach unten, dorthin, wo seine Beine verschwunden waren, stützte sich dann mit einem Arm ab, der bis zum Ellbogen in den verrotteten Blättern versank, als er nach etwas tastete, das ihm Halt geben konnte.
»Hutch, ist alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon. Aber ich trau mich gar nicht hinzugucken.«
»Hier. Nimm meine Hand.«
»Vorsicht«, sagte Hutch. »Das ist alles total vergammelt.«
Luke blieb stehen, dann schob er sich ganz langsam auf die Wand zu, weil er das Gefühl hatte, der Boden sei dort stabiler.
Hutch richtete sich in dem Loch, in das er eingebrochen war, auf. »Das Holz hier ist total weich. Da musst du höllisch aufpassen. Stell dir vor, du hättest einen Splitter abbekommen.«
»Oder einen rostigen Nagel.«
Hutch legte den Kopf zurück, blickte zu den Überresten des Dachs und schrie laut auf: »Leck mich!« Dann hob er einen Fuß aus dem Loch und versuchte, eine Holzbohle zu finden, die stabil genug war, um sein Gewicht zu tragen, damit er sich neben der Bank zu seiner Rechten wieder aufrappeln konnte.
»Ich komm zu dir rüber«, sagte Luke.
»Nee. Dann landen wir beide noch in der Krypta.«
Luke lachte angestrengt. In seinen eigenen Ohren klang es ziemlich aggressiv. Er hielt inne und hörte auf, blöd vor sich hin zu grinsen.
An der Seite war der Boden fester. Luke arbeitete sich vorsichtig zur hintersten Bankreihe vor. Dann kletterte er über die
letzte Reihe und blieb zwischen den hinteren beiden Bänken stehen. Dort war kaum genug Platz für ihn, seine Beine waren zu dick. »Die Leute hier sind anscheinend sehr klein gewesen. Wie Kinder.«
Er war verunsichert von seiner Beobachtung, wie er es schon öfter in historischen Gebäuden ähnlich erlebt hatte, wenn er sich unter den niedrigen Türrahmen ducken musste und die kleinen Betten und Stühle betrachtete, die einst von den längst Verstorbenen benutzt worden waren. Vielleicht lag es daran, dass er in solchen Momenten plötzlich und unvermittelt mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert wurde, einem heftigen
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