Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
von der Hütte aus in westlicher Richtung ins Unbekannte weiterzugehen. Beide Wege waren die absolut falsche Wahl gewesen. Das war ihm sofort klar gewesen, aber er war mit den anderen gegangen und hatte nicht deutlich genug Einspruch erhoben. Warum? Mit der Übernachtung in dem Haus war es genau das Gleiche. Es war ihm eigentlich völlig zuwider gewesen, da mitzumachen. Und jetzt wussten sie ja, was dort mit ihnen geschehen war. In dieser Nacht hatten sie unglaublich viel Kraft und Durchsetzungsvermögen eingebüßt. Jedem von ihnen war etwas Schreckliches passiert, aber später hatten sie die Umgebung oder ihre Müdigkeit dafür verantwortlich gemacht. Doch diese Alpträume waren nicht zufällig über sie gekommen.
Er wollte die ganze Sache am liebsten hinter sich bringen, sich von den anderen befreien. Morgen würde er seinen eigenen Weg gehen. Er würde allein losmarschieren und Hilfe holen. Diese Entscheidung hatte er schon früher am Abend getroffen. Und als er sie Hutch heimlich mitgeteilt hatte, hatte sein alter Freund nur genickt. Er hatte sich nicht begeistert über diese neue Strategie geäußert, aber auch keinen Einspruch erhoben. Er hatte einfach nur ein klein wenig genickt. Und seine tief in die Höhlen zurückgetretenen Augen hatten furchtbar alt und irgendwie trübe ausgesehen.
Sie waren völlig am Ende. Sie waren in echten Schwierigkeiten. Sie hatten einen ganzen Tag verschwendet, hatten ihre letzten Vorräte verbraucht und das bisschen Lebensenergie, das in Phil und Dom noch übrig geblieben war. Sie hatten die Grenze überschritten, wo die Trekking-Tour zum brutalen Überlebenskampf wurde. Irgendwann im Laufe des Tages war es passiert.
Wahrscheinlich am frühen Nachmittag. Es hatte keinen besonderen Anlass gegeben, es war einfach alles zu viel geworden. Und erst jetzt, nachdem sie aufgehört hatten, Schritt für Schritt durch das Dickicht zu stolpern, war Hutch endlich bereit gewesen, ihre tatsächliche Situation zu akzeptieren. Das zu wissen, machte Luke ziemlich zu schaffen. Aber immerhin stoppte es den Mahlstrom von Gedanken in seinem Kopf und das ständige Abwägen von Alternativen, das ihn den ganzen Morgen beschäftigt und so sehr unter Anspannung gesetzt hatte, wie man das im Freien nur sein kann.
Es gab keine Wahl mehr und keine Streitgespräche. Jemand musste losgehen und Hilfe suchen. Einer, der noch halbwegs bei Kräften war. Er oder Hutch. Die anderen mussten zurückbleiben, Phil mit seinen schlimmen Blasen und seinem entkräfteten übergewichtigen Körper, und Dom mit seinem übel angeschwollenen Knie, das den ebenfalls viel zu schweren Körper nicht mehr tragen konnte. Hutch war nicht glücklich über diese Entscheidung, aber Lukes brutaler Angriff auf Dom hatte die Sache entschieden.
Gleich beim ersten Licht des Tages würde er aufbrechen. Er würde den Kompass nehmen und sich direkt nach Süden aufmachen. Nachdem er einige Stunden geschlafen hatte. Er freute sich geradezu darauf, auch wenn es natürlich gefährlich war. Er durfte gar nicht erst anfangen, über die vielen Fallgruben genauer nachzudenken, über die Möglichkeit, dass die vollkommene Einsamkeit inmitten des Urwalds ihn überwältigen könnte. Er würde einfach immer weitergehen, egal wie irrsinnig seine Gedanken wurden, trotz der Angst und des Schreckens, immer dem Ziel entgegen. Aber bevor er die anderen verließ, wollte er noch ein paar Angelegenheiten klären. »Dom?«
Durch die Öffnung des Zeltes konnte er sehen, wie Dom schweigend dalag, das verletzte Bein auf den Rucksack gelegt, um die Schwellung zu lindern. Keine Antwort.
Hutch hob den Kopf und warf ihm einen Blick zu, schüttelte den Kopf. Dann formten seine Lippen lautlos die Worte: Nicht jetzt.
Luke nickte und seufzte. Dann schaute er hinauf in das dunkle Blätterdach und zu den dicken feuchten Ästen, unter denen sie ihr Lager errichtet hatten. Die Zweige dort oben verbanden sich zu einem tiefschwarzen Dach. Wasser tropfte ihm ins Gesicht. Einige wenige dicke Tropfen klatschten gelegentlich in seiner Nähe auf die Erde. Das Wasser fand immer einen Weg zu ihnen.
»Essen ist fertig«, sagte Hutch.
Die beiden Gestalten im anderen Zelt bewegten sich. Dom stöhnte. Dann streckte er einen Arm aus dem Zelt. Darin hielt er seinen Blechnapf. »Und spar nicht mit den Würsten. Ist mir scheißegal, wonach sie schmecken.«
Hutch grinste. »Na ja, mit irgendwas musste ich die Soße ja andicken.«
Luke hatte keine Kraft mehr zum Lachen. Phil leuchtete auf
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