Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
weil er so viele abgestorbene Äste und Zweige beiseitegeräumt hatte, um eine kleine Fläche halbwegs frei zu bekommen. Nun standen die beiden Zelte irgendwie schlaff und schief da, besser hatten er und Luke es nicht hinbekommen. Unter den Zeltböden waren noch immer jede Menge Wurzeln, Nesseln und Farne zu sehen, so dass man sich
kaum vorstellen konnte, an dieser Stelle auch nur einigermaßen bequem liegen und schlafen zu können.
Hutch ging davon aus, dass es eine schlimme Nacht werden würde. Irgendwie würden sie sie zusammengerollt oder in einer Ecke des Zweimann-Zeltes hockend überstehen. Immerhin würde es drinnen trocken sein, jedenfalls hatte er das den anderen versprochen. Von der Hüfte abwärts waren sie alle völlig durchnässt. Phils Oberschenkel waren von der Jeans wund gescheuert. Er hatte den nassen Stoff ganz vorsichtig bis zu den Knien geschoben, fürchtete aber, dass er sie nie mehr anbekommen würde, deshalb zog er sie nicht ganz aus. Die Innenseiten seiner Oberschenkel glänzten im schwachen Licht von der Wundsalbe, die er darauf geschmiert hatte. Sie roch intensiv. Morgen würde er sich in eine verdreckte Regenhose zwängen müssen, die Dom während der ersten zwei Tage ihrer Wanderung getragen hatte. Phil lag im Zelt auf dem Schlafsack und schwieg.
Auf der Hülle von Hutchs Schlafsack lagen ausgebreitet ihre restlichen Nahrungsvorräte. So wie es aussah, würden sie bald Hunger leiden. Dom hatte ein gehaltvolles Mittagessen verlangt. Die Folge war, dass das Essen in dem kleinen Metalltopf auf dem Campingkocher ihre letzte Mahlzeit sein würde. Sie bestand aus zwei übrig gebliebenen Päckchen Trockensuppe, einer Tüte Sojaschrot, ein bisschen gefriergetrocknetem Gewürzreis und der letzten Dose mit Würstchen. Danach blieben ihnen nur noch vier Energieriegel für jeden und eine gemeinsame Tafel Schokolade, ein paar Bonbons und Kaugummi. Aber auch das heutige Abendessen würde für jeden nicht mehr als eine Schale Suppe mit Sojaschrot hergeben. Trotzdem interessierten sie sich für nichts weiter als die Frage, wann dieser karge Eintopf endlich fertig gekocht war.
Luke hatte am Rand einer Ansammlung von Felsbrocken einen kleinen Bach entdeckt. Ein schmales Rinnsal, dessen bräunliches Wasser in drei verschiedene Richtungen plätscherte. Der
eigentliche Wasserstrom schien sich unter der Erde zu befinden. Aber immerhin floss ein bisschen trübes Wasser frei dahin, und es war kühl und erfrischend. Zehn Minuten lang saßen sie schweigend da, schöpften sich das Wasser in den Mund und füllten anschließend ihre Plastikkanister und die Feldflaschen. Danach fühlte Hutch sich benommen und schlecht. Trotzdem konnten sie nicht an sich halten und schlürften das erste frische Wasser, das sie seit Tagen zu Gesicht bekommen hatten, mit gierigen Schlucken.
Immerhin hatten sie ihre Zelte an einer Stelle aufbauen können, die besser aussah als alles, was sie in den letzten Stunden hinter sich gebracht hatten. Hier waren sie einigermaßen geschützt von den eisigen Luftströmen, die nach Einbruch der Dunkelheit zwischen den Bäumen wehten, und hatten einen halbwegs festen Untergrund, nachdem sie einen Großteil des morschen Geästs beiseitegeräumt hatten. Als die Zelte aufgebaut waren, machte Hutch sich daran, den Kocher vorzubereiten, und schüttete die Zutaten für den Eintopf zusammen. Sie waren viel zu müde, um sich zu unterhalten. Und sahen sich nicht einmal mehr an.
Luke hatte sich völlig verausgabt. Seine Oberschenkel taten weh, in seinem Gesäß pochte ein stechender Schmerz. Er fragte sich, wie weit er wohl gekommen wäre, wenn er sich von den anderen getrennt hätte. Mindestens doppelt so weit. Vielleicht hätte er sogar den Waldrand erreicht. Wer weiß? Als sie diese grässliche Kirche endlich hinter sich gelassen hatten, wäre er den anderen am liebsten davongelaufen. Jeder Augenblick des Leidens, den er ertragen musste, speiste seine Abneigung gegen Phil und Dom, die daran schuld waren, dass sie so langsam vorankamen. Sie gefährdeten diesen Ausflug schon allein dadurch, dass sie sich körperlich nicht darauf vorbereitet hatten. Und Hutchs übereilte Entscheidung, eine Abkürzung zu nehmen, verursachte
ihm noch immer schlechte Laune. Den Löwenanteil seiner Wut konnte er allerdings getrost gegen sich selbst richten. Stattdessen übertrug er seine Verärgerung auf die anderen. Das wusste er auch. Die Abkürzung zu nehmen war ihm völlig gegen den Strich gegangen. Genau wie der Plan,
Weitere Kostenlose Bücher