Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
»Hör mal, Alter, jetzt beruhige dich mal. Mach einfach mal langsam. Und erzähl uns ganz genau, was du gesehen hast.«
»Ich bin pinkeln gegangen. Dabei hab ich auf den Boden geschaut, damit ich mich nicht nass mache. Aber dann hab ich dieses merkwürdige Gefühl bekommen. Du weißt schon, so als würde jemand neben mir stehen. Als wären sie zu mir gekommen. Es war direkt neben mir. Und als ich aufblickte … ich dachte ja noch, es wäre ein Baum oder so was. So mitten im
Wald. Es hat sich nicht bewegt, aber es sah irgendwie verkehrt aus. Ich hab es angeguckt … und da hat es sich bewegt.«
Luke blinzelte durch den Rauch, der vor seinem Gesicht aufstieg. »Hä?« Die anderen beiden wandten sich dem überwucherten Friedhof zu.
»Da drin.« Phil deutete auf eine Ansammlung von Bäumen, die über dem ersten Runenstein gewachsen waren, an dem sie vorbeigekommen waren. »Dort bei den Bäumen. Am Rand. Etwas ist dort rausgekommen und dann ganz schnell wieder zurückgegangen, und dann war es verschwunden. Es hat kein Geräusch gemacht. Es war unheimlich schnell.«
»Ein Tier vielleicht?«, fragte Hutch.
Phil schüttelte den Kopf. »Ich dachte erst, es sei ein abgestorbener Baum. Einer, der von einem Blitz getroffen wurde. Aber dann … ich weiß auch nicht … Ich glaube, es war etwas auf zwei Beinen. Etwas, das aufrecht stand. Ziemlich groß. In diesem Wäldchen da ist es sehr dunkel. Aber das Ding hat sich irgendwie getarnt oder versteckt, jedenfalls stand es ganz still.«
»Verdammt, jetzt hör doch auf damit«, sagte Dom. »Das ist nicht witzig. Jedenfalls nicht hier.«
»Das ist kein Witz, Dom! Ich hab was gesehen. Ich hab’s schon letzte Nacht in meinem Traum gesehen. In diesem Haus. Es ist die Treppe heruntergekommen.«
»Es reicht jetzt!«, schrie Dom ihn an. »Ich versuche die ganze Zeit zu vergessen, was letzte Nacht passiert ist. Und das, was wir gestern in diesem verfluchten Baum gesehen haben.«
Luke warf einen Blick in den Wald um sie herum. Dann schaute er Hutch an, der unter dem Dreck und den Bartstoppeln völlig erbleicht war und ihn mit großen Augen verstört ansah.
»Glaubt ihr mir etwa nicht?«, fragte Phil.
Doms Gesicht war so angespannt, dass seine Lippen kaum noch zu sehen waren, während er die Zähne bleckte. »Nein, das tun wir nicht! Hör endlich auf, uns verrückt zu machen!«
»Irgendwas hier draußen läuft ganz falsch«, sagte Luke leise mehr zu sich selbst.
»Was zum Teufel willst du denn damit sagen?«, blaffte Dom ihn an.
»Nichts, es gibt nichts zu sagen. Aber dieses ganze verrottete Durcheinander dort« – Luke deutete auf die verfallene Kirche – »ist voll von menschlichen Knochen. Die liegen da total durcheinander. «
»Was?« Hinter dem Schmutzfilm schien Doms Gesicht völlig farblos zu werden.
Hutch schüttelte den Kopf. Er sah aus, als hätte ihm jemand eine schlimme Nachricht überbracht. »Irgendwas Schlimmes ist hier passiert. Ich vermute, die Leute sind alle eines grausamen Todes gestorben.«
»Was für ein grausamer Tod?«
»Zerfetzt, die Schädel eingeschlagen. Es sieht aus wie ein Massengrab aus dem Krieg.«
Phils Zittern wurde immer schlimmer. Und zum ersten Mal fiel Dom keine Entgegnung mehr ein.
»Wie denn?«, wandte Phil sich an Hutch, aber es klang mehr nach einer Bitte aufzuhören als nach Neugier.
Hutch schluckte. »Gott sei Dank sind wir nicht in diese anderen beiden Gebäude gegangen. Ich gehe jede Wette ein, dass wir da drinnen etwas ähnlich Grässliches gefunden hätten.«
»Aber was ist das denn nur?«, stieß Phil hervor.
»Ich weiß es nicht. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es überhaupt wissen will.« Er stand auf. »Hexerei. Schwarze Magie. Ein uralter Kult. Die Schweden hier im Norden sind sehr religiös. Ich weiß auch nicht. Aber das hier fordert uns irgendwie heraus, Leute. Setzt sich in unseren Köpfen fest. Es gibt eben Orte, die sind irgendwie böse, schätze ich. Und das macht uns jetzt auch noch fertig. Was du da gesehen hast, Phil, war ein Tier. Ein Elch. Oder ein Hirsch, Rotwild. Das gibt’s hier in der
Gegend in rauen Mengen. So einfach ist das. Wir sind total nervös. Wer wäre das nicht in unserer Situation? Aber wir müssen wieder runterkommen. Ein bisschen ruhiger werden. Und das meine ich ernst.« Er warf Luke einen eindringlichen Blick zu. »Wir dürfen uns nicht noch mehr entzweien, es ist auch so schon schlimm genug, okay?«
Luke erhob sich nun ebenfalls und sah zu der Baumgruppe. »Es ist zwei Uhr
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