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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Antonow
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ausgeschlagenen Fenster drang das Mondlicht ungehindert in das Gebäude ein. Tolik stellte sich vor, wie es wohl im Inneren aussehen mochte: umgestürzte Tische, windschiefe Bücherschränke, verwaiste Korridore.
    Dank einer Laune des Schicksals waren zwei der vier runden Fenster im oberen Bereich des Hauses heil geblieben. Sie sahen aus wie die Augen eines steinernen Riesen, der den Friedhof seiner Artgenossen besuchte. Da saß er nun und betrachtete seine verstorbenen Brüder . V ermutlich würde er eine halbe Ewigkeit hier sitzen bleiben, schließlich hatte er alle Zeit der Welt.
    Tolik bemerkte nicht sofort, dass mit Krabbe etwas nicht stimmte. Der Bandit fiel immer weiter zurück und blieb dann mitten auf der Straße stehen.
    Tolik winkte ihm zu. Keine Reaktion. Krabbe stand breitbeinig da und drehte den Kopf hin und her, als verfolgte er die Bewegung eines lästigen Insekts. Tolik bedeutete Arschinow zu warten und ging zu Krabbe zurück.
    »Was ist los?«
    »Die Stadt … Schrecklich … So leer … Ich halte das nicht aus«, stammelte Krabbe und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. »Ich hätte nicht gedacht, dass hier alles so … offen ist. Der Blick verliert sich. Ich kann nicht in der Mitte der Straße gehen. Könnten wir nicht an den Häusern entlanglaufen?«
    »Auf keinen Fall!«, versetzte der herbeigeeilte Arschinow. »Hör auf zu zittern, und nimm dich zusammen. Was du hast, nennt man Agoraphobie. Schon mal gehört? Die Angst vor weiten, offenen Räumen. Du musst das in den Griff kriegen, mein Lieber.«
    Leichter gesagt als getan. Krabbe atmete so schwer, als wären die Filter seiner Gasmaske verstopft.
    »Spürt ihr nicht, wie drückend die Leere ist?«, schrie der Bandit, nachdem er sich die Gummimaske vom Gesicht gerissen hatte. »Man kann sich nirgends verstecken! Ich kann nicht mehr, erschießt mich.«
    Urplötzlich preschte Krabbe los, hielt sich schützend die Hände über den Kopf und rannte auf das nächste Haus zu. Eine so blitzartige Aktion hätte in seinem Zustand niemand von ihm erwartet . A rschinow war völlig perplex, doch Tolik behielt einen kühlen Kopf und rannte Krabbe hinterher. Nach einiger Zeit holte er ihn ein, zog ihn zu Boden und drückte ihn mit seinem ganzen Gewicht auf den Asphalt.
    Zuerst wehrte sich Krabbe verbissen, doch dann fügte er sich. Es dauerte zehn lange Minuten, bis Tolik ihn endgültig beruhigen und ihm wieder aufhelfen konnte. Die ganze Zeit über hatte Arschinow den Blick über die dunklen Ruinen schweifen lassen und sein Sturmgewehr schussbereit im Anschlag gehalten.
    »Wir können weitergehen«, verkündete der Fähnrich und klopfte Krabbe aufmunternd auf die Schulter. »So eine Panikattacke dauert nicht länger als fünfzehn Minuten. Na, mein Freund, wie fühlst du dich jetzt?«
    »Gut. Ich weiß auch nicht, was mit mir los war . A ber jetzt bin ich wieder in Ordnung. Gehen wir, es wird bald regnen.«
    Krabbe hatte recht: Es sah nach Regen aus. Der Mond war fast vollständig von einem dicken Wolkenschleier verhüllt. Es wurde immer dunkler, und die Konturen der Häuser begannen zu verschwimmen.
    Schon klatschten die ersten Tropfen auf den Asphalt. Zuerst waren sie nur klein und trockneten sofort wieder ab. Doch der Regen wurde stärker, und auf der Fahrbahn bildeten sich erste Pfützen. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie die Wasserlachen anschwollen, sich stellenweise zu kleinen Bächen vereinigten und schäumend über die Straße strömten. Nun fielen schwere Tropfen, und in den Pfützen bildeten sich Blasen.
    Arschinow schaltete die Lampe ein. Der bläuliche Lichtstrahl fräste schräge Regenfäden aus der Dunkelheit. Um überhaupt etwas sehen zu können, musste man ständig über die Sichtscheiben der Gasmaske wischen.
    Die drei Weggefährten überquerten einen großen Platz. Durch die dichte Regenwand schimmerten die Wracks von Autos hindurch, die mitten auf der Straße zurückgelassen worden waren oder am Rand des Gehwegs parkten.
    Kurze Zeit später tauchte in der Dunkelheit das Standbild eines Mannes auf. Lockenkopf und Backenbart ließen unschwer erkennen, dass es sich um Puschkin handelte, der in Napoleonpose auf seinem Sockel thronte. Eine Hand hatte er unter den Saum seines Gehrocks geschoben, die andere, in der er seinen Hut hielt, lässig in den Rücken gelegt.
    Tolik fiel plötzlich eine Art Bauernregel ein, von der ihm seine Mutter erzählt hatte: Wenn sich in den Pfützen Blasen bilden, hört es bald zu regnen auf. Wo war

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