Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Nimmerwiedersehen.
Wenn ich ans Paradies glauben würde, wäre es leichter, dachte Tolik bei sich, dann könnte ich mir einreden, dass ich bald dafür belohnt würde, einen Menschen gerettet zu haben . A ber so …
Er umklammerte seine provisorische Waffe und beobachtete den Boden. Es dauerte nicht lange, bis der erste Wurm auftauchte. Einen Meter vor Toliks Füßen brach der Beton auf wie eine Eierschale. Zuerst spritzte eine Fontäne aus Betonbrocken und Erde empor, dann schlüpfte der Wurm heraus . V erzweifelt schlug Tolik mit seinem Prügel nach dem pendelnden Körper der Bestie, aber er traf ihn nicht. Jetzt kroch das Ungetüm auf ihn zu. Der dornenbesetzte Schwanz holte zum Schlag aus …
»Nimm meine Hand!«
Tolik sah auf. Der Bandit lehnte sich mit ausgestrecktem Arm aus der Schachtöffnung heraus.
In diesem Augenblick tat sich der Boden an einer zweiten Stelle auf . A usgerechnet zwischen ihm und der vielleicht rettenden Wand. Über den Wurm, der aus dem Spalt kroch, musste er drüberspringen.
Tolik packte Krabbes Hand. Im ersten Moment hatte er das Gefühl, er würde den Banditen in die Tiefe reißen. Doch der hielt stand und schaffte es tatsächlich, ihn hochzuziehen.
Im Schacht drehte sich Tolik um und schaute aus der Öffnung. Unten wimmelte es inzwischen von Würmern. Wie in einem Totentanz wanden sich ihre schlanken, aufgerichteten Leiber. Es mochten an die zwanzig sein.
Tolik hatte dem Sensenmann wieder mal ein Schnippchen geschlagen. Nicht zum ersten Mal hatte er seinen eisigen Atem schon im Gesicht gespürt und war ihm im letzten Moment von der Schippe gesprungen.
Anscheinend hatten bisher nur wenige Leute das Glück, diesen grauenhaften Kreaturen zu entrinnen, dachte Tolik. Sonst wüsste man doch längst mehr über sie.
Und in dem Betriebsraum, auf den sein Trupp am Anfang seines Weges gestoßen war … Auch dort hatten sich also Menschen vor den Würmern versteckt. Besser gesagt, sie hatten es versucht. Jetzt gab es auch eine Erklärung für das mysteriös e Verschwinden des rothaarigen Mitjai. Nicht die Bestie hatte ihn sich geholt …
Tolik kroch tiefer in den Schacht und legte sich auf den Rücken. Ob sie wirklich schon gerettet waren? Wer weiß? Vielleicht bedeutete dieser Schacht nur einen Aufschub. Einen kurzen Zwischenstopp auf dem Weg ins Jenseits. Schließlich konnten die Würmer sie auch hier aufstöbern und in ihre Erdlöcher zerren. Dann würde es wie üblich keine Zeugen geben.
Hinter sich hörte Tolik plötzlich Krabbes schweren Atem.
»Hey, Tom. Ich bin bis zum Ende dieses Lochs gekrochen. Da gibt’s keinen Ausgang. Ist zugemauert.«
Tolik erwiderte nichts. Was das bedeutete, war auch so klar: Sie mussten hier einfach eine Zeit lang ausharren und warten, bis sich die Würmer verzogen hatten.
Aus dem Betriebsraum drangen wieder dumpfe Schläge herauf. Die verdammten Biester gaben einfach keine Ruhe . V orsichtig näherte sich Tolik der Schachtöffnung.
Die Würmer machten keinerlei Anstalten, das Feld zu räumen. Im Gegenteil. Sie gruben sich in den Boden ein und sprangen dann wie schnalzende Federn hervor. Die Wand unter dem Schacht war bereits mit tiefen Scharten übersät . A ngesichts dieser Hartnäckigkeit musste man damit rechnen, dass die Würmer die Wand zermalmen und sich früher oder später zum Schacht vorarbeiten würden. Es war nur eine Frage der Zeit.
»Wir müssen die Mauerung aufbrechen, Tom!«, flüsterte Krabbe Tolik ins Ohr. »Sonst kriegen sie uns, du wirst sehen! Los, wir brechen die Ziegel raus! Irgendwie schaffen wir das schon!«
Doch Tolik wurde plötzlich von lähmender Apathie und unsagbarer Müdigkeit erfasst. Die angestaute Erschöpfung der letzten Tage wälzte sich plötzlich wie ein Felsblock auf ihn. Sollte Krabbe doch die Ziegel rausbrechen. Sollte er doch kämpfen …
Tolik fielen die Augen zu. Stecker raus. Ciao!
Mit einer abenteuerlichen Verrenkung gelang es Krabbe, sich aufzusetzen. Konsterniert betrachtete er seinen Begleiter, der friedlich eingeschlummert war – scheiß auf die Würmer.
Krabbe wurde nicht so recht schlau aus dem Kerl mit dem grau melierten Haar, doch er empfand Respekt für ihn. Ein Spinner natürlich . A ndererseits – saucool, hier einfach so einzupennen.
Außerdem hat er recht, sagte sich Krabbe. Die Flucht ist zu Ende. Es bringt nichts, sich weiter abzustrampeln.
Der Bandit zog sein Messer aus der Tasche und begann, Buchstaben in die Wand zu ritzen.
»Krabbe war hier.«
War.
12
CHARON
Krabbe
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