Im Visier des Todes
sich stets nach einem hämischen » dahien « und » iest « anhörte.
Der Fortschritt verhinderte zwar, dass sie den Hörer aufs Telefon knallte, aber das Gespräch mit Hohn wegzudrücken war immer noch drin. Leah biss sich auf die Unterlippe. Etwas Gemeines lag ihr auf der Zunge.
»Na, das hörte sich nicht gerade nach dem optimalsten Gesprächsverlauf an«, flötete die Kollegin vom Arbeitstisch gegenüber.
Egal. Von ihr aus hätte die ganze Belegschaft der Krankenkasse mithören können, klein beizugeben war heute nicht drin. Sie brauchte Klarheit. Vor allem in ihren Gefühlen. Vielleicht würde sie dann die letzte Begegnung mit ihm endlich vergessen und es schaffen, ohne Herzklopfen und weiche Knie an ihn zu denken. Falls er irgendetwas mit dem Mord an ihrer Schwester zu tun hatte.
Wahlwiederholung. »Hören Sie, Elinor, ich will mit Ihrem Chef reden. Und solange Sie mich daran hindern, werde ich dafür sorgen, dass der Begriff › Telefonterror ‹ in Ihren Vorstellungen ganz neue Dimensionen erreicht. Was meinen Sie, schaffen Sie es, Kay … «
»Guten Tag, Leah!«
»Kay!« Zwanzig Sekunden Pseudoschwerelosigkeit, einmal Ewigkeit und zurück. Zurück mit einem verkrampften Magen und einem Herzen, das sich bis zu ihrer Kehle vorgeklopft hatte. »Kay … ich … ich glaube, ich muss Ihnen so einiges erklären … « Sie senkte die Lider und presste die Lippen aufeinander, um nicht schon wieder den Hauch seiner Erwiderung zu fühlen. Einatmen. Es tut mir gar nicht leid wegen des Kusses. Sicherlich die falsche Einleitung für ein Gespräch, das ihr eine Anzeige ersparen sollte. Wieder einatmen. Von dir überrascht zu werden war das Aufregendste, was mir je passiert ist. Auch nicht wesentlich besser. Wir, allein, im halbdunklen Studio … »Kay?«
»Ich bin da.«
Sie presste den Hörer fester ans Ohr. Sie wollte ihm doch alles erklären, von ihm dasselbe verlangen, und fand plötzlich keine Worte mehr. Stattdessen spürte sie seine Finger an ihrer Wange, hörte den Kummer in seiner Stimme: Nicht, bevor ich mir sicher sein kann, dass ich mir keine Sorgen um Sie machen muss.
»Ich möchte doch nur wissen, was meiner Schwester tatsächlich widerfahren ist. Mit wem sie … «
Die Bürotür schabte energisch über den Teppichboden, die Stimme ihres Vorgesetzten polterte herein, bevor ihr der ganze Mann folgte: »Ich will doch sehr hoffen, dass der Blick auf den Kalender mich heute getäuscht hat!«
Leah schreckte auf, als eine Hand neben ihrer Tastatur einschlug und wie eine Vogelklaue die Notizen niederdrückte. Irritiert blickte sie in das Gesicht ihres Chefs. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
»Dann berichten Sie mir doch über den Stand der Verhandlungen im Fall des St.-Marien-Krankenhauses.« Die Brauen waren wie zwei fette, haarige Raupen zur Nasenwurzel gekrochen.
Sie tastete nach der Tischplatte und schob den Telefonhörer von sich, da sein Arm ihr den Zugriff auf die Ladestation verwehrte. St.-Marien-Krankenhaus. Sie brauchte nicht lange im Gedächtnis zu kramen. »Wie Sie mit Sicherheit wissen, konnten wir uns mit dem Krankenhaus nicht bezüglich des Budgets einigen.« Unauffällig klickte sie ihren Kalender auf dem Desktop an und überflog die anstehenden Termine. Alles im grünen Bereich. »Die Schiedsstelle hat das Ergebnis zu unserem Nachteil festgelegt. Die Klage gegen die Entscheidung habe ich bereits vorbereitet.« Sie rollte mit ihrem Bürostuhl zum Regal und holte den entsprechenden Ordner.
»Und eingereicht?« Falten furchten die hohe Stirn. Über den Schläfen zeigten sich Ansätze von Haarausfall, obwohl der schwarze Schopf sonst mit Dichte und Glanz beeindruckte. Nur wenige Strähnen waren mit feinem Silbergrau durchzogen, wie modisch meliert. Im Büro trug er den Spitznamen Mr Big, da einige Kolleginnen hartnäckig behaupteten, er würde aussehen, als wäre er der Serie Sex and the City entsprungen. Aber Leah hatte sich noch nie hinreichend volllaufen lassen, um das bestätigen zu können.
»Mache ich in den nächsten Tagen.«
»In den nächsten Tagen. In den nächsten Tagen! Die Klagefrist ist seit einer Woche abgelaufen!«
Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch verfing sich zu einem Knäuel, das langsam immer höher wanderte. »Die Frist ist am fünfzehnten Dezember. Zugegeben, in der letzten Zeit war ich etwas … « Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Nachschauen, feststellen … dass sie die Frist durch einen falschen Eintrag im Kalender tatsächlich
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