Im Visier des Todes
Nägel und wund gescheuerten Fingerkuppen mit dem verkrusteten Blut. Vorsichtig bewegte sie die Finger, die ihr gehorchten. Sie war in einem Krankenhaus. In Sicherheit.
»Wie fühlst du dich?«, erklang es leise neben ihr, sanft wie ein Celloton.
Kay. Er war bei ihr, auch in Sicherheit. Sie hatte Angst um ihn gehabt, nur wusste sie nicht mehr, warum. Die Entführung, der Keller – das hatte etwas mit ihm zu tun. Ihr Herz schlug schneller und schneller.
Nicht daran denken, nicht jetzt!
Sie wandte sich der Stimme zu, betrachtete ihn stumm. Müde sah er aus, nah und so … wirklich. Sie lächelte. Immer noch schlug ihr Herz viel zu heftig, aber nur, weil in ihr ganze Schwärme von Engelchen eingeschlossen zu sein schienen.
»Leah? Wie geht es dir?«
»Sag ich dir, sobald du mir versichert hast, dass dieser Kitsch-Tsunami nicht von dir stammt.« Sie deutete auf die Rosen.
»Ein junger Mann war hier. Nannte sich Poul und ich bin halt ihr Freund.«
Sie betrachtete den Bartschatten, die kastanienbraunen Haarsträhnen, die ihm in die Stirn fielen, die dunklen Ringe unter seinen Augen. Plötzlich dachte sie daran, wie er von ihr gegangen war. An die Eingangstür, die hinter ihm zugefallen war und sie allein zurückgelassen hatte. Und ich bin der, der Sex mit ihr hatte? Wer bist du, Kay, wer willst du in meinem Leben sein?
Sie rief sich zur Vernunft. Trotzdem flatterten die Engelchen rege in ihr umher und pfiffen auf jeglichen Realitätssinn. »Und wie hast du dich ihm vorgestellt?«
»Als jemanden, der froh ist, dich aufwachen zu sehen.«
Ihr fiel auf, wie duftlos die Rosen waren.
»Zur Bekräftigung seiner Worte wollte er dich auf die Wange küssen, aber du hast auf seine Nähe regelrecht panisch reagiert. Also habe ich ihn aus dem Zimmer geworfen. Wer ist dieser Poul nun wirklich?«
»Eifersüchtig?«
»Sollte ich?«
Sie steckte das Pummel-Engelchen kopfüber in eine der Vasen. Beleidigt rutschte es an den dornlosen Stängeln ins Wasser.
Er lächelte auf seine unscheinbare Art. Nur für sie. »Das akzeptiere ich gern als Antwort.«
»Bring die Blumen weg, bitte! Und … komm zurück.«
»Zu Befehl.«
Während er das Gestrüpp abtransportierte, starrte sie an die Decke, versuchte erneut, die Erinnerungen an ihre Entführung zusammenzuklauben. Sie wurde an einer Haltestelle überfallen. Deutlich sah sie den Fahrplan vor sich. Sie wusste noch, dass der Bus in einer Viertelstunde kommen sollte. Den hatte sie wohl verpasst. Die Dunkelheit und die Kälte des Kellers krochen ihr über die Haut. Wie war sie entkommen? Er hatte sie nicht gefesselt, ihre Sinne waren noch benebelt gewesen von dem Zeug, das er ihr in die Venen gespritzt hatte. Hatte er geglaubt, sie wäre noch bewusstlos? Oder … oder hatte er sie laufen lassen, um …
»Das Schwesternzimmer und der Empfangsbereich haben sich sehr über die Rosen gefreut.« Kay setzte sich zu ihr ans Bett.
Seine Stimme … Sie hatte sie durch das Rauschen, durch den ganzen Lärm und die vorbeirasenden Lichter gehört. Er war da gewesen. Plötzlich hatte sie wieder Angst. »Du warst es. Der mich gefunden und ins Krankenhaus gebracht hat. Nicht wahr?«
Das Lächeln glühte in seinen Augen aus. »Ja. Ich war es.«
»Woher wusstet du, wo du mich findest?«
»Aus den SMS -Nachrichten, die von deinem Handy kamen. Es war … eine grausame Schnitzeljagd.«
Sie schluckte. War sie entkommen oder freigelassen worden? Was hatte ihr Entführer von Kay gewollt? Die Fragen machten sie schwindelig. Sie legte sich eine Hand über die Augen, spürte unter den Fingern die Tränen, noch warm. In ihrer Nase kribbelte es.
Katzenhaare … Nathalie hatte etwas in der Wohnung dieses Nick Milla gefunden. Was, wenn er das Verschwinden der Dinge bemerkt hatte, wenn er alles zurückhaben wollte und nach der Entführung bei ihr nicht gefunden hatte? Was, wenn er sie freigelassen hatte, damit sie ihn zu seinem gestohlenen Eigentum führte? Und Kay? Lautete die Bedingung für ihn, sicherzustellen, dass sie das Entwendete wiederbeschaffte?
»Wer ist dieser Nick Milla wirklich? Weswegen hast du ihn gefeuert? Hegt er deswegen einen Groll auf dich und will den Verdacht auf dein Studio lenken?«
»Stopp, stopp, stopp. Was hat Nick jetzt damit zu tun?«
»Bei der Trauerfeier meintest du, du könntest mir nicht helfen. Was hat er gegen dich in der Hand?« Sie forschte in seinem Gesicht. Irgendetwas verbarg er vor ihr. Durfte sie ihm wirklich trauen?
»Er hegt keinen Groll. Glaub
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