Im Visier des Verlangens
hatte, nie etwas Ordentliches auf die Beine stellte. Sein Großvater hatte keinerlei Hoffnungen in ihn gesetzt, und Ned, der junge Narr, hatte ihn in seiner Meinung über ihn über Gebühr bestätigt.
Aber er hatte dazugelernt. Er hatte sich verändert, und es war noch nicht zu spät.
„Wo steht er?“
„Auf der Schafweide. Die ist im Herbst leer, die Schafe wurden auf die unteren Wiesen gebracht.“
„Er wird sich bessern.“
„Hmm.“ Mit diesem Brummen drückte Plum mehr Zweifel aus als mit Worten. Zu Neds Erstaunen raffte er sich dann doch zu einer Erklärung auf. „Ja, ja, in rührseligen Geschichten rettet ein Stalljunge einen alten Klepper vor dem Abdecker und will ein Rennpferd aus ihm machen, das in Ascot den ersten Preis gewinnt. Und dann geschieht das Wunder, nur weil er dem lahmen Gaul gut zuredet und ihm genügend Hafer zu fressen gibt. Aber seien Sie mal ehrlich, Mr Carhart. Das ist ein bockbeiniger Dickschädel, aus dem wird nichts mehr. Selbst wenn Sie es schaffen, ihm ein Geschirr anzulegen und dazu bringen, im Gespann mit einem anderen Ross einen Wagen zu ziehen, wird er sein ganzes Leben lang störrisch bleiben.“
„Störrisch?“, sagte Ned. „Damit kann ich leben.“
Plum sah ihn lange an, bevor er den Kopf schüttelte. „Na dann, viel Glück. Auf der Schafweide liegt immer noch das Heu“, fügte er hinzu. „Wir müssen es bald einfahren, bevor der Regen kommt. Ich hole mir ein paar Männer aus dem Dorf und kümmere mich darum.“
„Lassen Sie nur“, wehrte Ned ab. „Das erledige ich.“
Diese Ansage wurde mit einem sehr langen Schweigen quittiert. „Das erledigen Sie “, wiederholte Plum schließlich und hielt den Blick zu Boden gerichtet. Er betonte die Worte so, als habe Ned nicht nur angekündigt, er wolle ein nutzloses Pferd retten, sondern als trage er obendrein fünf Köpfe auf den Schultern.
Kein Wunder. Vornehme Herren boten sich ebenso selten an, Heu aufzuladen, wie sie fünf Köpfe trugen. Der Nachkomme eines Marquess war kein gewöhnlicher Tagelöhner, der sich die Hände mit körperlicher Arbeit schmutzig machte.Andererseits war Ned nicht der typische Nachfahre eines Marquess. Ihn drängte es, etwas zu tun, um die überschüssige Energie auszuschwitzen, die sich bereits in nervöser Zappelei bemerkbar machte. Wenn er nichts dagegen unternahm, würde diese innere Unrast sich verstärken und bei nächster passender Gelegenheit zum Ausbruch kommen, besser gesagt bei nächster unpassender Gelegenheit, wie er aus Erfahrung wusste.
„Soll das ein Witz sein?“, fragte Plum verdattert. „Na ja, Sie waren ja schon als Kind gern zu Späßen aufgelegt.“
Ach, die unangenehme Erinnerung an seine Kindheit.
„Es ist mein voller Ernst. Ich habe Lust dazu.“
Im Laufe der letzten Jahre hatte er gelernt, diese Unrast – die Unfähigkeit, zur Ruhe zu kommen – zu zügeln. Alles, was er tun musste, war, den Überschuss an Energie in körperliche Arbeit zu lenken. Je schwerer, je stumpfsinniger, je größer die körperliche Anstrengung, desto besser das Resultat.
Ratlos schüttelte Plum den Kopf; er hielt seinen Brotherrn wohl für endgültig übergeschnappt. „Der Heuwagen steht schon auf der Weide“, sagte er.
Ned fand den Wagen eine halbe Stunde später. Champion beäugte ihn mit gesenktem Kopf aus sicherer Entfernung an der Umzäunung. Die Heuhaufen aufzuladen, war die richtige Arbeit, kräftezehrend und ermüdend. Mit jeder aufgeladenen Heugabel spürte Ned das Zerren in seinen Muskeln. Sein Rücken schmerzte – ein wohltuender Schmerz. Er kämpfte ihn nieder.
Ein Heuhaufen. Der nächste. Noch einer. Die Sonne bewegte sich ein gutes Stück weit über den Himmel, bevor Ned seine Müdigkeit und seine Schulterschmerzen überwunden hatte, bis dann schließlich seine Sehnen und Muskeln brannten und er nur noch den Wunsch hatte, die Heugabel fallen zu lassen und die restliche Arbeit den Männern zu überlassen, die Plum schicken würde.
Aber er biss die Zähne zusammen und arbeitete weiter. Damitbefreite er sich nicht nur von seiner inneren Spannung, es war auch ein gutes Training. Es gab in seinem Leben nicht nur Tage wie diesen, an denen er sich berstend vor Energie und unbesiegbar wähnte, es gab auch Zeiten, in denen er sich wünschte, alles würde zum Stillstand kommen.
Das waren die Gegenpole in seinem Leben: unbändige Energie, gefolgt von lähmender Lethargie. Wenn er sich dem anderen Pol näherte, würde er darauf vorbereitet sein.
Im Moment galt es
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