Im Visier des Verlangens
aufgerufen, um eine Aussage zu machen.“ Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Nachdem die Beweislage geklärt ist, verfüge ich …“
„Euer Ehren“, unterbrach Ned ihn mit lauter Stimme, „welche der hier Anwesenden …“, er machte eine ausladendeArmbewegung durch den Gerichtssaal mit den jämmerlichen Gestalten, „… fungieren als Geschworene?“
„Geschworene?“ Der Richter furchte die Stirn. „Geschworene? Es ist heute keine Zeit für eine Verhandlung mit Geschworenen.“ Er wandte sich an Kate. „Sie haben nicht um Geschworene gebeten. Und Sie bekommen auch keine. Außer die Streitsumme übersteigt vierzig Schillinge.“
„Die Countess of Harcroft ist gewiss mehr wert als vierzig Schillinge“, sagte Ned. „Euer Ehren.“
Harcroft fixierte ihn aus Augenschlitzen, erhob aber keinen Einwand.
Der Richter setzte seufzend die Brille wieder auf und nahm Ned nun näher in Augenschein. „Sie scheinen mir ein Gentleman zu sein.“
„Ich bin ein Gentleman und der zukünftige Erbe des Marquess of Blakely.“
Eine steile Falte bildete sich auf der Richterstirn. Er wandte sich an Harcroft. „Aber Sie sagten, das heißt, ich dachte, Mrs Carhart …“
„Meine Gemahlin ist Lady Kathleen Carhart“, fiel Ned ihm wieder ins Wort. „Der Kläger wird gewiss nicht verschwiegen haben, dass sie die Tochter des Duke of Ware ist. Oder sollte ich mich irren?“
Während seiner Rede warf der Richter, dessen Lippen noch schmaler geworden waren, Harcroft einen fragenden Blick zu. Ned konnte sich nun zusammenreimen, wie es zu dieser Anklage gekommen war. Harcroft hatte mit seinem hohen Rang Eindruck auf den Bezirksrichter gemacht, vermutlich sogar mit einigen Banknoten nachgeholfen. Aber selbst ein korrupter Diener der Krone würde davor zurückschrecken, die Tochter eines Dukes ins Gefängnis zu stecken.
Unter Neds forschendem Blick rückte Richter Fang seine Perücke zurecht und ordnete die Papiere auf seinem Tisch. „Vielleicht eine Geldstrafe“, schlug er an Harcroft gerichtet vor. „Vielleicht lässt sich die Angelegenheit mit einem Bußgeld voneinigen Pfund regeln?“
„Keinesfalls“, entgegnete der Earl schneidend. „Diese Person hält meine Ehefrau fest. Ich will sie zurück. Nein, Euer Ehren – ich bestehe auf meiner Klage und auf einem Gerichtsverfahren.“
Der Richter legte die Hand an die Stirn, und dann murmelte er: „Dieses Gericht weist den Einspruch seitens Mr Carhart ab. Die Klage gegen Mrs … ähm … Lady Kathleen Carhart bleibt bestehen.“
Euer Ehren, dachte Ned bitter, versucht seine Gewissensbisse hinter Formalitäten zu verbergen.
„Auf welcher Rechtsgrundlage, Euer Ehren?“
„Aufgrund der Beweise, die mir vorliegen, wonach die in Betracht kommende Straftat begangen wurde, als Sie sich außer Landes aufhielten. Wir leben nicht mehr in rückständigen Zeiten, in denen ein Ehemann für jeden Schritt seiner Ehefrau zur Verantwortung gezogen wird. Sie stehen nicht unter Anklage, Mr Carhart.“
„Ich bestehe aber darauf“, protestierte Ned. „Und ich fordere die Freilassung meiner Gemahlin.“
„Fakten, Mr Carhart, sind Fakten. Es steht Ihnen nicht zu, Forderungen zu stellen. Das Gesetz erlaubt nicht, eine Anklage auf eine andere Person zu übertragen, so sehr Ihnen auch daran gelegen sein mag.“ Während seiner Rede hatte der Richter eine würdevolle Haltung angenommen. Das Gesetz schien erst Bedeutung für ihn zu haben, nachdem er erfahren hatte, dass Kate die Tochter eines Dukes war. „Mr Carhart schlägt weiterhin vor, dass der Prozess gegen Lady Kathleen vor Geschworenen geführt wird.“
Harcroft lächelte höhnisch in Neds Richtung. „Ich stimme einer Zeugenvernehmung vor Geschworenen zu“, erklärte er hochnäsig. „Mein erster Zeuge kann sofort einvernommen werden.“
„Jetzt sofort?“ Der Richter machte eine klägliche Miene. „Aber es ist fast drei Uhr nachmittags.“
„Na und? Was soll das heißen?“
„Das Gericht schließt um drei.“ Der Richter sah Harcroft fassungslos an. „Wir halten uns strikt an Öffnungszeiten, Mylord. Äußerst strikt.“
Harcroft starrte vor sich hin, seine Kiefer mahlten. „Nun gut. Nehmen Sie die Angeklagte in Untersuchungshaft und werfen Sie sie in eine Gefängniszelle. Der Prozess wird morgen fortgeführt.“
„In eine Zelle?!“, entfuhr es Kate.
„Lady Kathleen“, verkündete Ned mit gelassener Bestimmtheit, „verbringt keine Nacht in einer Zelle. Euer Ehren weiß, dass er einem Gentleman
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