Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
Vom Netzwerk:
durch die Lagune verfolgt haben, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen, und den wir verwundet haben. Sie kennen die Gegend: Ich wollte mich nicht weiter in den Wald vorwagen. Aber ich habe diese wenigen Tropfen mit großer Sorgfalt gesammelt. Ich hoffe, Sie können damit die von Ihnen beabsichtigten Analysen durchführen.
    Wenn Sie diesen Brief lesen, bedeutet dies, dass Sie die Probe erhalten haben. Gehen Sie vorsichtig damit um! Ich habe Grund zu der Annahme, dass das Übel ansteckend ist. Jetzt bete ich zu unserem Herrn Jesus Christus, dass Er uns beschützen möge. Sind wir nicht dabei, die Pforten der Hölle zu öffnen?
    Niels Agosto
    18. Mai 2008, Campo Alegre, Formosa.
    Das erste merkwürdige Detail war der Ort, der unterhalb der Unterschrift angegeben war. Campo Alegre, Formosa. Jeanne kannte in Nicaragua keinen Ort namens Formosa. Aber im Nordosten Argentiniens, einer sehr abgelegenen Region, gab es eine Provinz dieses Namens. Sie las den Brief noch einmal durch. Eduardo Manzarena hatten einen Vertrauten entsandt, um den Spuren einer Infektion in Argentinien nachzugehen. Befürchtete er, in seinem eigenen Land eine Pandemie auszulösen, wenn er Blut aus dieser Region einführte? Oder interessierte er sich, im Gegenteil, aus persönlichen Gründen für dieses geheimnisvolle »Übel«?
    Jeanne ordnete die Ereignisse chronologisch. Der Brief trug das Datum des 18. Mai. Zweifellos hatte Manzarena die Probe eine Woche später erhalten. Was hatte er damit gemacht? Eine Vermutung drängte sich auf: Er hatte sie an eine ihm bekannte Spezialistin in Frankreich geschickt ... Nelly Barjac. Das war die Postsendung, die die Zytogenetikerin am 31. Mai erhalten hatte.
    Nelly hatte die Probe analysiert, aber der Mörder war gekommen, um sie wieder an sich zu nehmen und die Befunde zu vernichten. Wieso? Wusste Joachim, um was für eine Krankheit es sich handelte? Litt er selbst daran? Und welche Verbindung gab es zu Marion Cantelau, einer jungen Pflegekraft in einem Zentrum zur Behandlung autistischer Störungen, und Francesca Tercia, einer etwas exzentrischen Bildhauerin?
    Daneben gab es noch einen direkten Zusammenhang zwischen Niels Agostos Brief und der Erkrankung Joachims. Agosto sprach ausdrücklich vom »Wald der Seelen«. La Selva des las Almas .
    Man konnte diesen Ausdruck jedoch auch mit »Wald der Manen« übersetzen – dem Namen für die Geister der Toten in der Antike. Jeanne hörte sie wieder, die metallische Stimme, die in der Praxis von Féraud gesagt hatte: Man muss ihm lauschen, dem Wald der Manen.
    Als der Psychiater Joachim gefragt hatte, ob er diesen Wald in seiner Kindheit gekannt hatte, hatte der Anwalt unter Hypnose lediglich die Frage wiederholt. Was in der Sprache des Autismus als ein »Ja« gelten konnte ...
    Alles passte zusammen. Der Mörder stammte nicht aus Nicaragua, sondern aus Argentinien. Dies stellte möglicherweise eine Verbindung zu Francesca Tercia her, die ihrerseits gebürtige Argentinierin war, und zu dem Telefonat von François Taine mit dem Institut für Agrarwissenschaft in Tucumán, im Nordwesten des Landes. Aber soweit sie wusste, lagen Tucumán und Formosa im Nordosten mehr als tausend Kilometer auseinander.
    Zu viele Fragen. Nicht genug Antworten ...
    Zunächst einmal wollte Jeanne ihre Hypothese über Nelly Barjac überprüfen. Sie ging rasch hinauf in ihr Zimmer, drehte die Klimaanlage bis zum Anschlag auf und nahm sich eine Cola Light aus der Minibar. Dann wählte sie die Handynummer von Bernard Pavois, dem Direktor der gleichnamigen Firma.
    21.00 Uhr Ortszeit. 4.00 Uhr in Paris. Pavois würde es ihr bestimmt nicht übelnehmen, wenn sie ihn weckte. Ein Fall von höherer Gewalt. Pavois nahm nach dem zweiten Läuten ab und meldete sich mit klarer Stimme. Er hatte nicht geschlafen.
    Jeanne entschuldigte sich für diesen Anruf zu später Stunde. Pavois schien nicht überrascht zu sein.
    »Wie kommen Sie voran? Von Ihren Kollegen habe ich nichts gehört.«
    »Ich weiß nicht, wie weit sie mit ihren Ermittlungen sind, aber ich musste verreisen.«
    »Wohin?«
    »Managua, Nicaragua.«
    »Auf den Spuren des Täters?«
    »Ganz genau.«
    »Das ist Ihr Karma, ich hatte es Ihnen doch gesagt. Weshalb rufen Sie mich an?«
    »Nelly Barjac hat am 31. Mai ein Päckchen aus Managua erhalten.«
    »Und?«
    »Absender war die Firma Plasma Inc., die einzige private Blutbank in Managua. Genauer gesagt, wurde dieses Päckchen von einem gewissen Eduardo Manzarena aufgegeben, dem Geschäftsführer der

Weitere Kostenlose Bücher