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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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geben könnte?«
    »Gibt es Ähnlichkeiten mit dem ersten Mord?«, fragte Taine zurück. »Ich meine, was den Modus operandi betrifft.«
    »Alles stimmt überein. Eine Tiefgarage. Die Inschriften an den Wänden. Und natürlich die Leiche, die genauso zugerichtet wurde wie die erste.«
    »Gibt es Ähnlichkeiten bei den Profilen der Opfer?«
    »Das lässt sich noch nicht sagen. Man hat nicht einmal das Gesicht des zweiten ... vorher gesehen.«
    Einen Moment schwiegen alle, und nur das Prasseln des Regens war zu hören. Jeanne blickte unverwandt nach draußen. Wie jedes Mal, wenn sie durch dieses Gewirr von Fabriken, Pavillons, Siedlungen fuhr, fragte sie sich: Wie konnte es nur so weit kommen?
    Sie stellte sich vor, dass es eine Verbindung zwischen dem Mörder und diesen verwahrlosten Städten geben musste. Ballungsgebiete. Irgendwo in diesen Straßen waren die Orte, wo sich die Gewalttätigkeit des Mörders entladen hatte. Orte, wo Brände gelegt worden waren. 1, 2, 3 ... Man musste zum Zentrum dieses Labyrinths vordringen, in diesen großstädtischen Dschungel abtauchen, bis man den ursprünglichen Brandherd ausfindig gemacht hatte. 4, 5, 6 ... Begreifen, weshalb der Mörder in diesen Untergeschossen zuschlug, urzeitlichen Höhlen, in denen er einen Ritus zelebrierte. Eine Opferung ...
    »Hat man schon begonnen, mögliche Zeugen zu befragen?«, fragte Taine.
    »Gerade. Ich habe ein paar Leute hingeschickt. Sie vernehmen die Wachleute, die Nachbarn. Aber da gibt es wohl nicht viel zu holen. Es ist eine Industriezone. Nachts ist hier niemand. Jedenfalls geht der Mörder meines Erachtens mit kühlem Kopf ans Werk. Er plant alles akribisch, bevor er zuschlägt.«
    »Gibt es was Neues über das erste Mordopfer? Ich habe noch immer nicht den Bericht des Rechtsmediziners bekommen.«
    »Ich auch nicht. Heute Morgen habe ich mit dem Arzt gesprochen. Die Ergebnisse der toxikologischen und pathologischen Analysen sollen noch heute vorliegen. Aber vermutlich wird nichts Neues dabei herauskommen. Wir wissen bereits, dass der Mörder dem Mädchen die Kehle durchgeschnitten hat, es ausbluten ließ und bestimmte Teile seines Körpers verzehrte.«
    »Und was ist mit möglichen Tatverdächtigen? Verwandte? Kollegen? Haben die Ermittlungen in ihrem Umfeld was gebracht?«
    »Fehlanzeige. Das Mädchen hatte einen Verlobten. Wir haben ihn vernommen. Harmlos. Sie hat sich auch im Netz umgetan.«
    »Kontaktbörsen?«
    »Mehr oder weniger. Facebook. MSN. Wir gehen dem nach. Wir recherchieren auch in der anderen Richtung.«
    »Das heißt?«
    »Ausgehend vom Kannibalismus. Bescheuert, wie viele Websites sich damit befassen. Alle auf Englisch. Foren, verrückte Chats, Anzeigen, die für die Teilnahme an Zerstückelungspartys werben, Rezepte für die Zubereitung von Menschenfleisch. Und selbst Kandidaten, die sich Amateurkannibalen zum Verspeisen anbieten! Wahnsinn! Tausende von Leuten wollen von anderen gefressen werden.«
    Genau das hatte auch Armin Meiwes, der »Kannibale von Rotenburg«, bei seinem Prozess ausgesagt. Dieser Mann, der davon träumte, einen Artgenossen zu verzehren, hatte im Jahr 2001 im Internet einen Freiwilligen gefunden, Bernd Jürgen Brandes.
    In der Nacht vom 9. auf den 10. März 2001 hatte ihm Meiwes vor laufender Kamera den Penis abgeschnitten, den sie gemeinsam verspeisten. Anschließend hatte Meiwes Brandes die Kehle durchgeschnitten, ihn zerstückelt und Teile des Leichnams verzehrt, wobei er das, was er tat, mit lauter Stimme vor der Kamera kommentierte.
    »Irgendwas gefunden?«, fuhr Taine fort.
    »Nichts. Meiner Meinung nach ist das alles Bluff. Und es ist schwer, diejenigen aufzuspüren, die für diesen Blödsinn verantwortlich sind. Jedenfalls führt keine Spur zu Marion Cantelau, dem ersten Opfer. Sie hatte nichts mit diesen Durchgeknallten zu tun. Nein, meiner Ansicht nach war sie zur falschen Zeit am falschen Ort. Das Übliche.«
    »Ich glaube eher, dass der Typ sie eine Zeitlang beschattet hat.«
    »Da sind wir uns einig. Aber am Anfang hatte sie einfach das Pech, dass sich zufällig ihre Wege kreuzten.«
    »Und die Fingerabdrücke? Die DNA? Wenn ich mich recht entsinne, hat er überall Abdrücke hinterlassen. Sogar seinen Speichel ...«
    »Und seinen Kot.«
    »Aha. Und?«
    »Nichts. Seine Fingerabdrücke finden sich in keiner Datenbank. Die Ergebnisse der DNA-Analyse stehen noch aus. Aber ich vermute mal, dass das auch nichts bringen wird. Wenn er keine Vorsichtsmaßnahmen ergreift, bedeutet das, dass er

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