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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Mannes. Er hatte in den letzten Wochen abgenommen, obwohl das kaum mehr möglich war.
    »Was meinst du, wird er sich erholen?«, fragte er vorsichtig.
    Renzo schaute ihn mit traurigen Augen an. »Nicht wenn die Zahlen so herauskommen, wie ich vermute«, murmelte er.
    Auch er hatte die Hoffnung aufgegeben, dass sich der Dollarkurs bald wieder erholen würde, aber in zehn Minuten hätten sie Gewissheit. Dann waren die neusten Wirtschaftszahlen aus den USA fällig und die Devisenmärkte würden sekundenschnell reagieren.
    »Es macht wirklich langsam keinen Spaß mehr, weißt du«, klagte Renzo. »Der verdammte Swissy ist viel zu hoch. Die Ärsche würden noch bei achtzig kaufen wie blöd. Ich sage dir, das System ist krank. Dass man in Aussie, Loonie und Norwegen flüchtet, verstehe ich noch einigermaßen, die sitzen auf jeder Menge Rohstoffen. Aber die Flucht in den Schweizer Franken ist einfach paranoid. Da nützen auch die Stützungskäufe der Nationalbank nichts mehr. Die sitzen eh schon auf zweistelligen Milliarden Dollar, Euro und Pfund.«
    Er hatte sich in Rage geredet. Zornig zündete er den nächsten Zigarillo mit dem glimmenden Stummel an, dann blickte er seinen Chef herausfordernd an und fragte erregt:
    »Kannst du mir mal verraten, wie ich in dieser Scheiß-Situation handeln soll? Das Cable liegt auch längst am Boden und auf den Euro setzt keine vernünftige Sau mehr. Pervers ist das.«
    Gute Frage. Sie hatten die Entwicklung zwar kommen sehen, aber niemand konnte damit rechnen, dass die Hauptwährungen so schnell und praktisch alle gleichzeitig einknickten. Die Märkte befanden sich in einem regelrechten Ausnahmezustand. Das Kapital floss in die Länder mit Rohstoff- und Edelmetallreserven, wie Renzo gesagt hatte. Australien, Kanada, Norwegen und natürlich die ›BRIC‹-Staaten waren die Gewinner. Oder auch nicht, denn mit Ausnahme des fixen Yuan schossen die Währungskurse dieser Länder gegen den schwachen US Dollar in ungeahnte Höhen. Robert wusste keinen Rat, so begnügte er sich mit der Frage nach den aktuellen Kursen, obwohl er die Antwort ziemlich genau kannte.
    Der Devisenhändler spulte die Kurse gegen Dollar ohne nachzudenken herunter, als sehe er sie vor seinem geistigen Auge: »Swissy .8642, Euro 1.2378, Cable 1.4231, Aussie 1.2845. Willst du noch mehr Hiobsbotschaften?«
    »Danke, mir reicht’s«, lachte er bitter. Pervers war schon das richtige Wort für die unmögliche Situation auf den Märkten. Das bewies allein die Tatsache, dass ein englisches Pfund nur noch 1.4231 Dollar kostete, obwohl der Dollar selbst mit 0.8642 Franken pro Dollar so tief notierte wie nie zuvor. Nachdenklich meinte er: »Kein Wunder will unser Freund in Macao nur noch Gold.«
    »Braucht vielleicht einen neuen Goldzahn, der Kleine.«
    Wenigstens hatte Renzo seinen Humor noch nicht ganz verloren. Ihre Vermutung bestätigte sich bald, nachdem sie den Platz am Handelspult wieder eingenommen hatten. Die US-Zahlen waren schlecht, das Chaos ging weiter. Die Nervosität im Handelsraum der Bank ›Escher, Stadelmann & Co‹ hielt an. Robert nahm sich vor, seinen Devisenhändler in Zukunft besser im Auge zu behalten. Öfter mal zu einem schönen Glas Wein im ›Caveau‹ überreden. Das wäre schon ein guter Anfang. Vor 18 Uhr war allerdings nicht daran zu denken. Die Devisenpositionen mussten bereinigt werden, und er selbst brauchte die Schlusskurse des London Stock Exchange.
    Gerade als er die Bildschirme abschalten wollte, klingelte sein Handy. Der spezielle Klingelton entlockte ihm einen lauten Fluch. Li! Was wollte der egoistische Zwerg um diese Zeit? Es war immerhin nach Mitternacht in Macao.
    »Mr. Li!«, grüsste er enthusiastisch. »Welche Freude, dass Sie uns wieder einmal beehren.«
    Li kicherte. »Ah, Mr. Bauer, immer scherzen. Gut, gut, gut. Mr. Bauer, ich weiß, es ist spät, aber ich habe eine dringende Bitte.«
    »Dafür sind wir doch da.« Robert schnitt eine Grimasse, als sich Renzo stumm verabschiedete. Heute würde nichts aus dem Barbaresco Jahrgang 2004. Eine dringende Bitte des Chinesen konnte nur Nachtarbeit bedeuten.
    »Ah, gut. Ich möchte nicht Zeit verlieren. Sie haben unsere Goldbarren an die Bank in London geliefert.«
    Robert erschrak. »Ist etwas nicht in Ordnung mit der Lieferung?«
    »Nein, nein, alles gut, aber jetzt brauchen wir die Bestände in der Schweiz.«
    »Alles physische Gold?«, platzte er heraus. Das konnte nicht Lis Ernst sein. Was sein Kunde in einem Nebensatz erwähnte, war

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