Im Westen geht die Sonne unter
nichts weniger als ein logistischer Albtraum.
»Ja, alles Gold«, bestätigte Li ruhig. »Es muss am Montag in Zürich sein. Sie erhalten ein Fax mit allen Details. Ich muss mich nur versichern, dass es keine Probleme gibt.
Montag. Vier Tage, einschließlich Wochenende. Unmöglich!, wollte er ausrufen. Ein Wort, das ein Kunde wie Li nicht kannte. Er fluchte still in sich hinein und schluckte seinen Ärger hinunter. »Das – dürfte sehr schwierig werden«, antwortete er vorsichtig.
Wieder das blöde Kichern. »Ah, dafür sind Sie doch da, Mr. Bauer«, sagte Li.
Robert sah ihn durchs Telefon grinsen.
»Ich kann mich doch auf Sie verlassen?«
»Wie immer, Mr. Li, wie immer, selbstverständlich. Wir werden unser Bestes tun.
»Montag sind meine Leute in Zürich, um die Lieferung in Empfang zu nehmen.«
Die schlechten Nachrichten waren offensichtlich noch nicht zu Ende. »Ach, die Barren sollen nicht in unsern Tresor?«, fragte er fassungslos.
»Nein, steht alles im Auftrag. Tut mir leid, Mr. Bauer, ich muss auflegen. Geschäfte, wissen Sie.«
Damit verabschiedete sich Mr. Li, der seinen Ruf als schwierigste Cash Cow der Bank wieder einmal glänzend bestätigt hatte. 19 Uhr. Robert schaute sich ratlos um im leeren Handelsraum. Er glaubte nicht eine Sekunde daran, dass sie den Transport in der kurzen Zeit schaffen würden. Trotzdem konnte er nicht bis zum Morgen warten. Wut kochte in ihm hoch. Er war der Chef des Handels, kein Spezialist für physische Lieferungen, verdammt noch mal. Und doch blieb alles an ihm hängen. Grimmig zerrte er das Fax aus der Ablage. Gleichzeitig wählte er die Nummer des Backoffice. Sofort nach dem ersten Summton meldete sich der gewissenhafte Karl.
»Karl, gut, dass du noch da bist«, rief er erleichtert. »Ich habe ein Problem.«
»Du auch?«
Es klang nicht wie ein Scherz, aber genau konnte man das bei Karl nie wissen. Eilig schilderte er dem Leiter der Zahlungsabwicklung, was Goldzahn Li von ihrer Bank verlangte.
»Der spinnt«, bemerkte Karl nüchtern, nachdem er eine Weile ruhig zugehört hatte.
»Ich weiß.«
»Du hast ihm hoffentlich klar gemacht, dass es unmöglich ist?«
»Wie könnte ich? Er versteht dieses Wort nicht. Karl, egal wie, wir müssen es wenigstens versuchen, klar?«
»Nein.«
»Was meinst du – nein?«
»Nein, ich verstehe es nicht. Ein solcher Transfer dauert mindestens zehn Tage. Allein die Versicherung braucht zwei Tage, um den Vertrag abzuschließen. Dann müssen weiß der Geier wie viele Geldtransporte organisiert werden. Und wie willst du die achtzig Tonnen verschiffen? Bahn und Straße sind zu gefährlich. Bleibt der Frachtflieger, aber der steht auch nicht in London bereit und wartet auf uns. Nein, tut mir leid, aber du kannst dem Spinner ausrichten, dass er sein Gold in zwei Wochen abholen kann.«
»Du willst mich also hängen lassen«, stellte Robert trocken fest.
»Blödsinn. Ich erkläre dir nur wie’s ist. Willkommen in der Wirklichkeit der physischen Lieferungen. Zwei Wochen für eine saubere Abwicklung. Ich komme morgen früh vorbei, dann besprechen wir alles. Sorry, aber jetzt sollte ich mein Problem lösen.«
»Zu spät«, knurrte er und legte ernüchtert auf.
Karl besaß zwanzig oder mehr Jahre Erfahrung. Es gab keinen Grund, an seiner Einschätzung zu zweifeln, und doch zerbrach Robert sich den Kopf nach einem Ausweg. Li war sein Kunde, weil er oft genug das Unmögliche möglich gemacht hatte, und dabei sollte es bleiben.
»Scheiß drauf!«, rief er aus und wählte eine Nummer auf seinem Handy. Es gab vielleicht eine Lösung. Sie hieß Charlotte Cromwell und war in den Ferien. Anrufe aus dem Büro waren tabu. Diese Regel hatte er selbst vor Jahren eingeführt. »Geh ran, verdammt«, knurrte er ungeduldig. Er erwartete nicht, dass jemand abnahm, außer der Mailbox. Zuallerletzt erwartete er die Begrüßung, die er nach kurzem Läuten hörte:
»Gott sei Dank, Robert. Was gibt’s?«
»Danken musst du Mr. Li«, antwortete er geistesgegenwärtig.
»Goldzahn sei Dank.«
»Richtig. Was hast du nur geschluckt? Ich dachte, du bist in den Ferien und reißt mir den Kopf ab, wenn ich anrufe.«
Im Hintergrund hörte er eine Frauenstimme nach Charlotte rufen. Ihre Stimme wurde leiser. »Moment, ich muss hier raus«, flüsterte sie. Eine Tür schlug zu und entferntes Vogelgezwitscher drang aus dem Hörer. »Da bin ich wieder«, seufzte sie. »Ich bin in York, bei meinen Eltern. Und wenn es noch lange so weitergeht, muss ich wirklich
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