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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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bildeten einen wirksamen Sichtschutz an der gläsernen Außenwand der Kabine. Der Aufzug fuhr geräuschlos an, tauchte in die offene Halle des Atriums ein und hielt nach kurzer Zeit an. Ihr stockte der Atem. Die Tür glitt auf. Sprungbereit starrte sie auf die sich vergrößernde Öffnung. Ein Mann in blauer Uniform erschien im Spalt. Er schaute ihr direkt ins Gesicht. Gelähmt vor Schreck erwartete sie seinen Zugriff, doch nichts geschah. Er blieb mit seinem sperrigen Postwagen draußen stehen. Die Tür schloss sich. Sie schwebten unbehelligt weiter nach unten. Ihre Nerven lagen blank. Sie zitterte, versuchte es zu verbergen so gut es ging. Doch je näher das Erdgeschoss rückte, desto flacher ging ihr Atem. Sie mussten ihre Flucht längst bemerkt haben. Wahrscheinlich erwartete eine kleine Armee mit ihrer Artillerie die falsche Reporterin am Ausgang.
    Die Fahrt verlangsamte sich. Sanft wie auf einem Luftkissen glitt die Kabine in die Ruheposition. Es war soweit. Sie musste als Erste hinaus. Vorsichtig trat sie durch die Öffnung, machte einen Schritt zur Seite, um die Männer vorbeizulassen. Das Adrenalin in ihren Adern schärfte ihre Sinne, als hätte sie Amphetamin geschluckt. Blitzschnell analysierte sie die Lage. Die Geschäftsleute schritten zum Empfangsdesk, den sie von hier aus nicht vollständig einsehen konnte. Da sie nichts Verdächtiges entdeckte, folgte sie in kurzem Abstand. Ihre Hand fuhr in die Tasche, als sie die zwei uniformierten Männer sah, die sich zu beiden Seiten des Ausgangs aufstellten, ihre Uzis schussbereit an der Hüfte. Im Schatten der nichts ahnenden Besucher konnte Lis Artillerie sie noch nicht entdecken. Sie hielt den kleinen Zylinder aus ihrer Tasche fest umschlossen, während sie verzweifelt einen Ausweg suchte. Überraschung war ihre einzige Hoffnung, aus diesem Haus zu kommen, aber dazu musste sie unbemerkt möglichst nahe an den Ausgang. Die Männer gaben ihre Badges ab und die Truppe löste sich auf, als sie hinausgingen. Schlecht. Sie war ohne Deckung. Ganz schlecht. Ein paar Schritte von den Gorillas entfernt sprudelte der Springbrunnen. Nicht ideal, aber besser als gar nichts. Im Schutz des Brunnens näherte sie sich der offenen Tür. Die zwei Wächter bemerkten sie immer noch nicht. Schon hoffte sie, ihre Verfolgungsangst wäre unbegründet, als eine schneidende Stimme vom Desk aus rief:
    »Sie ist es, haltet Sie!«
    Mei Tan stand wie eine drohende Klapperschlange hinter der Rezeption und zeigte mit spitzem Finger auf sie. Sofort setzte sich einer der Gorillas in Bewegung. Wie in Zeitlupe sah Alex den Koloss auf sich zukommen, während sich die Schlange von hinten näherte. Sie riss die Hand mit dem Zylinder hoch und drückte ab. Der brennende Pfefferspray, militärische Güteklasse, stoppte den Mann auf der Stelle, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er seine Hände vors Gesicht schlug und stöhnend zu Boden ging. In Riesensätzen sprang sie direkt auf den zweiten Wächter am Eingang zu. Konsterniert über den vermeintlichen Angriff reagierte er eine Schrecksekunde zu spät. Als er mechanisch die Waffe auf sie richtete und sie anschrie, war sie schon draußen auf dem breiten Gehsteig.
    Er schießt nicht in die Passanten, dachte sie flüchtig, und doch erwartete sie jeden Augenblick den fatalen Treffer. Die Angst verlieh ihr Flügel. Ohne sich umzublicken, rannte sie geradewegs auf die Straße, zwischen zwei Autos hindurch. Bremsen quietschten. Fahrzeuge schlitterten aufeinander zu bis keine Maus mehr durch die Zwischenräume passte. Sie hetzte weiter über die Gegenfahrbahn, wagte erst jetzt einen Blick zurück. Die Schlange stand am Rand des Gehsteigs, unbeweglich, unberührt vom sich entwickelnden Chaos auf der Straße. Alex spürte ihre giftigen Blicke noch, als sie hinter der Hausecke in eine Nebenstraße verschwand. Sie rannte weiter, um den Block herum zur stark befahrenen Parallelstraße. Dort hielt sie ein ›Yellow Cab‹ an und wagte erst aufzuatmen, als das Taxi den Business Distrikt verließ und sich im dichten Verkehr der Ostküste näherte.
    Sie dankte der Vorsehung, dass sie mit der Fähre, nicht mit dem Flugzeug nach Macao gereist war. Wenn Lis Schergen sie jetzt noch abfangen wollten, dann sicher am Flughafen. Das Taxi setzte sie am Terminal des ›Turbojet‹ ab. In der Menschenmasse war sie so gut wie unsichtbar. Trotzdem fürchtete sie jeden Augenblick eine schwere Hand auf der Schulter. Sicher würde sie sich erst

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