Im Westen geht die Sonne unter
hatte sich geirrt. Statt im Flugzeug nach Taipeh saß er einmal mehr zusammen mit Li und dem irrwitzigen Tony in einer schwarzen Limousine. Im Fahrzeug mit abgedunkelten Fensterscheiben und in dieser ungemütlichen Gesellschaft kam er sich vor wie ein Gangmitglied in einem schlechten Film. Er ekelte sich vor sich selbst. Warum hatte er Li den Bettel nicht einfach vor die Füße geschmissen? Wieder war er eingeknickt, folgte brav den Anweisungen des Mannes, den er verabscheute wie keinen andern. »Das Gerät gehört an den sichersten Ort«, hatte er erklärt, mit seinem falschen Lächeln im Gesicht und dem grinsenden ›Einohr‹ als überzeugendem Argument. Danny wollte ihm das letzte funktionierende Verschlüsselungsgerät geben, doch Li wich davor zurück, als wäre es ein tödlicher Skorpion. Um keinen Preis hätte er den kleinen Computer nochmals angefasst. »Sie werden es fachgerecht archivieren«, meinte er nur.
Nun schritten sie zum zweiten Mal zusammen durch das Felsentor hoch über der Gotthardpassstraße in die Kaverne ›K23‹, die Li als den sichersten Ort bezeichnete. Wieder unterzog sich auch Li ohne Zögern den aufwendigen und lästigen Sicherheitskontrollen. Danny zweifelte, ob das Abtasten, die zwei Scanner und die mit schwerer Artillerie bewaffneten Wächter mehr als nur aufwendige Schau waren. Er glaubte nicht, dass solche Kontrollen mehr nützten als die umständlichen Prozeduren auf den Flughäfen. Leuten wie Li aber schien die Folklore schwer zu beeindrucken. Der militärische Pomp gab ihnen das Gefühl besonderer Sicherheit. Wesentlich mehr traute Danny den unterschiedlichen Einmannschleusen und PIN-Codes zu. Sich hier Zutritt zu verschaffen ohne intime Kenntnisse persönlicher Daten und Codes war tatsächlich unvorstellbar. Und im Fall von Li besaß nur er selbst alle Informationen.
Sie standen vor dem Tresorraum. Li tippte seine Geheimziffern ein. Das elektronische Schloss entriegelte die faustdicken Stahlsperren. Die Tür schwang langsam auf. Danny stutzte. Er erkannte den Raum kaum wieder. Die Trennwand war verschoben. Den Schreibtisch hatte man in eine Ecke gestellt. Das Regal, auf dem er beim letzten Besuch den Metallkoffer abgestellt hatte, stand nun an einer Seitenwand. Ungläubig starrte er auf die Wand gegenüber. Hüfthoch stapelten sich Goldbarren über die ganze Breite des Raums.
»Das müssen ...« Ihm fehlten die Worte.
»Hundert Tonnen«, nickte Li schmunzelnd. »Und wie Sie sehen, Dr. Chen, gibt’s noch reichlich Platz.«
Danny hatte noch nie einen Standardbarren gesehen, von einem ganzen Tresor voller Gold ganz zu schweigen, außer im Fernsehen. Li wartete geduldig, bis er sich vom einmaligen Anblick losreißen konnte, dann forderte er ihn auf, das Chiffriergerät auf den Tisch zu legen.
»Ich möchte, dass Sie einen letzten Text eingeben«, sagte er und hielt ihm einen Zettel hin.
Verblüfft las Danny die Zeile, dann tippte er die seltsame Botschaft kopfschüttelnd ein. Was immer Li damit bezweckte, es klang wie ein höhnischer Abschiedsgruss an jeden Leser. Der seltsame Text würde auch bei leerem Akku im Speicher des Geräts erhalten bleiben. Wozu? Für wen?
»Eines Tages werden Sie vielleicht verstehen«, murmelte Li, während er mit Argusaugen beobachtete, wie Danny den Computer in den Metallkoffer legte, wo auch die andern Relikte des Projekts lagerten.
Nach einem kurzen Blick auf die Raumklimaprotokolle verließen sie den Tresor und das Fort in den Alpen wieder. Schweigend fuhren sie ins Tal hinunter. Von der Fahrt nach Zürich bemerkte er nicht allzu viel. Zu sehr beschäftigte ihn die Frage, was er als nächstes tun sollte. Kurz nachdem sie die Autobahn vor den Toren der Stadt verlassen hatten, richtete Li das Wort an ihn.
»Dr. Chen«, sagte er feierlich. »Sie haben uns gute Dienste geleistet. Wir werden das nicht vergessen.«
Was meinte er damit? Willst du mich belohnen?, dachte er mürrisch. Einer seiner glänzenden Barren würde ohne weiteres genügen. Er schätzte den aktuellen Wert auf nahezu eine Million Dollar. Der Mann sprach nur noch in Rätseln. Danny begnügte sich damit, freundlich zu nicken.
»Wann fliegen Sie zurück?«
»Am Sonntagmorgen.«
Zwecklos zu flunkern. Li kannte bestimmt jedes Detail seines Reiseplans. Wenigstens hatte er erreicht, in einem andern Hotel als Lis Truppe abzusteigen. Das gab ihm wenigstens das Gefühl, nicht dauernd beobachtet zu werden, obwohl wahrscheinlich auch das eine Illusion war.
»Hat mich gefreut,
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