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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Geschäfte mit Ihnen zu machen«, rief Li ihm nach, als er in der Talstraße, kurz vor dem Paradeplatz aus dem Wagen stieg.
    Die Limousine fuhr weiter Richtung See, wo Lis Nobelherberge lag. Danny blieb stehen und sog die staubige Stadtluft tief in seine Lungen, als atme er zum ersten Mal seit langem wieder frische Luft. Erleichtert schlenderte er durch die Gassen zum alten Bürgerhaus in der Nähe der Bahnhofstraße, wo er Quartier bezogen hatte. Im Zimmer sperrte er die Fenster auf, um das Gezwitscher der Spatzen und das Gurren der Tauben im Hinterhof hereinzulassen und warf sich aufs Bett. Eine Weile lag er mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Er ließ den Gedanken freien Lauf, versuchte an nichts Bestimmtes zu denken, einfach abzuschalten. Wir werden das nicht vergessen. Lis rätselhafte Bemerkung drängte sich immer aufdringlicher in den Vordergrund in seinem Kopf. Vielleicht war es eine versteckte Warnung: »Wir werden Sie nicht vergessen.« Oder anders ausgedrückt: »Wir werden dich genau im Auge behalten.«
    Er setzte sich unruhig auf die Fensterbank, richtete seine Augen aufs Grün des Kastanienbaums, das sich rötlich braun zu verfärben begann. Zu früh für die Jahreszeit. Fast widerwillig begann er, seine Lage zu analysieren. Die aufwendige, jahrelange Entwicklungsarbeit an den Spezialchips, die vertauschten Spezifikationen, Erics gewaltsamer Tod, die dramatisch inszenierte Code-Übergabe an den Banker: irgendwie passten die Puzzleteile nicht zusammen. Was hatte er übersehen? Oder war er wirklich nur ein kleines, unbedeutendes Rädchen in einem gefährlichen Spiel des mächtigen Mr. Li? Ein Rädchen, das im Grunde nichts wissen konnte? Gedankenverloren zog er Erics Kopien aus dem diskreten Innenfach seines Rucksacks. Er hatte beschlossen, die brisanten Papiere stets bei sich zu tragen. Es musste einen Zusammenhang geben zwischen diesen Papieren und dem merkwürdigen Ritual auf dem Bürgenstock. Die Chips, die sie ausgeliefert hatten, konnten Lis chiffrierten Text entziffern. Soviel war klar. Die Firmware würde also theoretisch auf diese Zeichenkette reagieren. Was das Programm allerdings dadurch auslöste, wusste er nicht, denn man hatte ihnen den Code für die Firmware als ›Blackbox‹ geliefert. Die Aufgabe ihrer Firma in Hsinchu war nur, zu testen, ob die Dechiffrierung funktionierte. Falls Lis Text also irgendwie in diese Chips gelangte, konnte wer weiß was passieren, denn die Firmware besaß Zugriff auf die gesamte Elektronik. Er sah immer noch keinen Zusammenhang mit dem Banker, blätterte weiter in Erics Papieren, bis er wieder die erste Seite mit der Adresse des Endabnehmers vor sich hatte. Vergeblich versuchte er sich zu erinnern, was er über diese Firma wusste. Nach einer Weile legte er die Kopien frustriert weg, da verstand er plötzlich den Zusammenhang seiner integrierten Schaltkreise mit Mr. Bauers Bank.
    »Allmächtiger!«, rief er laut. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, dass er trotz der wärmenden Sonnenstrahlen fror. Sein Puls beschleunigte sich und in seinem Magen bildete sich wieder der Knoten, der ihn stets plagte, wenn er glaubte, vor einem unlösbaren Problem zu stehen. Diesmal sah er wirklich keinen Ausweg mehr. Er steckte bis zum Hals in ätzender Scheiße, ohne Boden unter den Füssen. Jetzt wusste er noch weniger als zuvor, was er machen sollte. Die Katastrophe stand unmittelbar bevor, daran zweifelte er nicht mehr. Er war der Einzige außer Li und seiner Bande, der davon wusste, und er sah absolut nicht die geringste Möglichkeit, wie er sie noch verhindern konnte. Niemand würde ihm glauben. Die Bank nicht, seine eigene Firma sowieso nicht. Wenn er den Mund öffnete, war er tot, soviel war auch sicher. Nur diese winzige Chance hatte er noch: Klappe halten und hoffen, dass niemand Erics Papiere bei ihm finden würde.
    Zuerst brauchte er jetzt einen oder zwei starke Drinks, um den Schock zu betäuben. Er legte die Kopien sorgfältig in den Rucksack zurück, steckte den Zimmerschlüssel ein und ging zur Tür. Seine Hand berührte etwas, das er längst vergessen hatte. Er zog die Visitenkarte aus der Tasche, die Li weggewischt hatte. »Alex Oxley, Wall Street Journal, New York ... «, stand da, mit Telefonnummer. Nachdenklich schloss er die halb offene Tür wieder, ging ins Zimmer zurück und setzte sich an den kleinen Schreibtisch neben dem Fenster. Mit dem Anflug eines Lächelns schaute er auf die Uhr,

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