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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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ihn sofort. Mit Riesenschritten kam er auf die Tür zu. Ein kurzer Blick in sein Gesicht sagte alles. Der Killer war imstande, ihn vor allen Leuten auf der Stelle zu erschießen. Dannys Puls raste. Er taumelte zurück, als hätte ihn die Kugel schon getroffen. In höchster Not erinnerte er sich an den Hinterausgang. Er riss die Tür zum Restaurant auf, stürmte durch das Lokal, prallte auf einen Kellner, der mit dem Tablett fluchend und klirrend zu Boden ging. Die Gäste beim Abendessen hatten kaum Zeit zu erschrecken, da rannte er schon durch den Innenhof zum Durchgang auf die Straße. Zum ersten Mal wagte er einen Blick über die Schulter. Von Tony war nichts zu sehen, aber die lauten Rufe aus dem Restaurant ließen keinen Zweifel daran, dass er ihm auf den Fersen war. Wenige Sekunden noch, und das ›Einohr‹ hätte ein freies Schussfeld. Schneller!, dachte er verzweifelt.
    Er musste einem Fahrrad ausweichen, das an der Wand neben dem Dienstboteneingang lehnte. Das Rad eines Kuriers. Instinktiv ergriff er die Lenkstange und schwang sich auf den Sattel. Sogleich fühlte er sich stärker, nicht mehr unmittelbar bedroht vom Aufruhr in seinem Rücken. Er trat kräftig in die Pedale, raste im Zickzack auf dem Gehsteig zwischen den Fußgängern auf die große Kreuzung zu. Es war ein Umweg zum Bahnhof, aber er wusste von seinen einsamen Spaziergängen, wie er in dieser Gegend entkommen konnte. Die zahlreichen Lichtsignale beachtete er nicht. Beim Überqueren der Straße schaute er kurz zum Hotel zurück. Tony stand am Straßenrand, den Blick auf ihn gerichtet, das Telefon am Ohr. Er holt Verstärkung, dachte Danny, aber ihr Arschlöcher kriegt mich nicht. Beim Café, wo er ein paar Mal draußen dem Verkehr zugeschaut hatte, bog er in die ruhigere Löwenstraße ab, die geradewegs zum Bahnhof führte.
    Er wähnte sich in Sicherheit, als plötzlich hinter ihm ein Taxi aus einer Seitenstraße schoss. Erschrocken warf er einen schnellen Blick zurück. Tony! Er war nicht sicher, ob sein Verfolger im Wagen saß, aber er durfte kein Risiko eingehen. Atemlos suchte er einen Ausweg, dachte daran, umzudrehen und sich in die Gegenrichtung davonzumachen, da sah er das zweite Taxi auf sich zukommen. Es bremste ab und näherte sich im Schritttempo. Er hatte sie unterschätzt. Er saß in der Falle. Fieberhaft suchte er nach der richtigen Entscheidung. Er kannte die Stelle in der Mitte der Löwenstraße. Von hier aus führte ein schmaler Fußweg zwischen zwei Gebäuden hindurch. Er bremste so abrupt, dass sein Verfolger nicht anders konnte als ebenfalls eine Vollbremsung einzuleiten. Das Taxi schlitterte mit quietschenden Reifen gefährlich nahe heran. Er beachtete es nicht, auch nicht die aufgeregten Rufe und Flüche der Passanten. Der Augenblick der Verwirrung genügte ihm, blitzschnell die Gegenfahrbahn zu überqueren und in der engen Gasse zu verschwinden. Hinter den Häusern mündete der Weg in einen noch schmaleren Steg über einen Bach. Er sprang ab, ließ das Fahrrad liegen und rannte über die halb verborgene Brücke.
    Wenige Schritte später drängte er sich durch das junge Volk, das den lauen Spätsommerabend an den langen Holztischen im Hof der ›Reithalle‹ bei Schickimicki-Drinks, Bier und Grillplättchen genoss. Der Platz war ihm in Erinnerung geblieben, weil er sich darüber geärgert hatte, dass man als Fremder hier nichts zu trinken bekam – bis auch er den Weg an die Bar fand. Ohne sich umzusehen, rannte er durch das Restaurant auf die Straße. Auch sie führte wie die Löwenstraße zum Bahnhof. Er dankte dem Wettergott für den milden Abend, der eine Menge Leute ins Freie trieb. Inmitten der vielen Passanten fühlte er sich nahezu unsichtbar.
    Zwei Frauen kamen ihm lächelnd entgegen, Chinesinnen, und die eine fragte verlegen in reinem Mandarin: »Entschuldigen Sie, mein Herr. Wo ist bitte die Bahnhofstraße?«
    Er ließ sich nicht aufhalten, streckte nur die Hand in die Richtung, wo er Zürichs berühmteste Straße vermutete und eilte weiter. Ein flüchtiger Blick zurück beruhigte ihn. Keine Spur von Tony oder andern auffällig flinken Verfolgern.
    »Das war knapp«, murmelte er, als er die Halle des Hauptbahnhofs betrat. Er war jetzt nur noch einer unter den Hunderten von Reisenden in dunklen Anzügen, gewagten Sommerkleidchen, schlabberigen Rapperhosen, der im Wirrwarr der Anzeigen, gehetzt vom Lärm der Lautsprecherdurchsagen und Züge, seinen Weg suchte. Die unübersehbare Uhr an der Anzeigetafel drängte

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