Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
Vom Netzwerk:
ihn zu größter Eile. Die hektische Flucht durch die Gassen hatte viel Zeit gekostet.
    Fünf Minuten später saß er allein in einem Abteil des Intercity-Zugs, der nach bloß zehn Minuten im Flughafenbahnhof, direkt unter dem Check-in, halten würde. Es lohnte sich nicht einmal, den Rucksack abzulegen. »Perfekt«, seufzte er laut und streckte sich in der Ecke am Fenster aus. Beruhigt schloss er die Augen.
    Er zückte automatisch seine Fahrkarte, als er das Geräusch der Schiebetür hörte.
    »Guten Abend Dr. Chen«, sagte eine bekannte Frauenstimme freundlich. Mei Tan setzte sich lächelnd in die gegenüberliegende Ecke des Abteils und versperrte ihm den Ausgang mit ihren langen Beinen.
     
    City Airport, London      
     
    Die Zeile auf dem Bildschirm in der Ankunftshalle des City Airport änderte sich. Flug ›SWISS 462‹ aus Zürich war gelandet. Ryan hob die Tafel mit dem Namen des Chinesen auf, die er missmutig zwischen seinen Füßen abgestellt hatte. Fehlte nur noch die Uniform. Wieso tat er das? Peinlich war die harmloseste Bezeichnung, die ihm für seinen Auftritt mit dem Kartonschild einfiel. Die letzten Passagiere eines andern Fluges tröpfelten aus dem Zollbereich, dann blieb die Tür für einige Minuten verschlossen, bis sie die nächsten Reisenden ausspuckte. Erst als er einen Mann mit asiatischen Gesichtszügen erblickte, hob er das Schild in die Höhe und versuchte freundlich auszusehen. Der Fremde beachtete ihn nicht.
    Hundert oder zweihundert Leute später hatte noch immer niemand auf sein Pappschild reagiert, auf dem in großer, fetter Blockschrift »DR. D. CHEN« stand. Der Strom der ankommenden Passagiere versiegte. Wieder blieb die Tür geschlossen. Frustriert schaute Ryan auf die Uhr: zehn nach acht. Vor einer Stunde war die Maschine gelandet. Chen musste inzwischen durch diese Tür gekommen sein. Seine uniformierten Kollegen waren verschwunden. Sie hatten ihre Gäste gefunden. Der Goodwill-Einsatz für Alex entwickelte sich endgültig zum Ärgernis. Warum hatte dieser Chen ihn nicht gesehen? Der Trottel muss blind sein, schimpfte er in Gedanken. Er stand verlassen mit seinem Stück Pappe vor der Tür, die sich nicht öffnen wollte und machte sich Vorwürfe, Mr. Meriwethers Katzenfamilie einmal mehr zu vernachlässigen. Im ›Scotsman‹ am Tresen zu stehen mit einem Pint ›Bitter‹ in der Hand wäre um diese Zeit auch eine vernünftige Alternative. Stattdessen musste er einen verlorenen Chinesen suchen.
    Die Auskunft am Informationsschalter der Airline war ernüchternd. In Zürich hatte kein Dr. Chen eingecheckt. Es half nicht, dass Ryan zweimal nachfragte und die Dame sichtlich ärgerte: Der Gesuchte hatte diesen Flug nicht benutzt. Er kramte den Zettel aus der Hosentasche, auf dem er Chens Handynummer notiert hatte. Lange nahm niemand ab, dann meldete sich die mechanische Stimme von Danny Chens Anrufbeantworter. Auf Englisch, immerhin. Er fluchte leise vor sich hin, drückte die Taste für die Wahlwiederholung und zählte nochmals die Summtöne. Sechs Piepser dauerte es, bis sich eine tiefe männliche Stimme meldete:
    »Hallo?«
    »Dr. Danny Chen?«
    Die Antwort war ein unverständliches Zischen, das sich allerdings nicht chinesisch anhörte, eher holländisch oder deutsch. »Do you speak English?«, fragte er langsam und deutlich artikulierend.
    »Yes – who is calling?« – »Ja – mit wem spreche ich?«
    »Ryan Cole. Ich soll Sie am Flughafen abholen. Sind Sie Danny Chen?«
    »Wo sind Sie?«
    »In der Ankunftshalle, im City Airport, verdammt noch mal!«, explodierte Ryan. Der Unbekannte trieb es entschieden zu weit.
    »London?«
    »Nein, Zürich – natürlich bin ich in London! Warum sind Sie nicht geflogen?«
    »Was wollten Sie von Dr. Chen?«
    Zum ersten Mal beschlich ihn ein böser Verdacht. »Wo ist Dr. Chen?«, fragte er vorsichtig.
    »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
    »Hören Sie, Sie arroganter Fatzke. Wenn Sie nicht sagen können, wer Sie sind, lege ich jetzt auf.
    «Sie sprechen mit dem KTD der Kantonspolizei St. Gallen. «
    »KTD?«
    »Kriminaltechnischer Dienst. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Dr. Chen tot ist. Sie kannten ihn?«
    »Tot?« Er musste sich setzen. »Wie – wann ...«
    »Man hat ihn mit gebrochenem Genick im Zug gefunden, kurz vor St. Gallen. Es war der Zug zum Flughafen.«
    »Ein Unfall?«
    »Mord.«
    »Wer ...?«
    »Wir wissen es nicht. Mr. Cole, Sie müssen mit dem Kommissar sprechen, der die Ermittlungen leitet.«
    Mit

Weitere Kostenlose Bücher