Im Westen geht die Sonne unter
einem Schlag begriff Ryan, auf welch dünnem Eis er sich befand. Man hatte Chen auf dem Weg zu ihm umgebracht. Es stimmte also, was Alex gesagt hatte: Der Mann besaß offenbar äußerst wichtige Informationen. War der Killer an seiner Stelle geflogen? »Verdammt!«, rief er aus. Wenn Chens Mörder unter den ankommenden Passagieren war, musste er sein Schild gesehen haben. Ebenso gut hätte er sich eine Zielscheibe auf die Brust malen können. »Ich Idiot!«
»Wie bitte?«
Er sprang auf, ließ das fatale Pappschild liegen, eilte, so schnell es ging ohne zu rennen, zum Ausgang in Richtung Parkhaus. Nur eine Frage brannte ihm noch auf der Zunge: »Hatte Dr. Chen Dokumente bei sich? Berichte, Papiere meine ich«
»Nein. Wir haben nichts gefunden. Ich leite Sie jetzt weiter zum ...«
Ryan unterbrach die Verbindung. Seine Neugier war für lange Zeit befriedigt. Er hatte nicht die geringste Lust, in einen Mordfall verwickelt zu werden. Sein Problem war wichtiger. Er lebte noch. Ein Glück, dass er diesmal seinen Wagen dabei hatte, so würde er wenigstens nicht auch im Zug enden. Wie er es auch drehte und wendete: Die kleine Gefälligkeit, die er Alex aus romantischen Gründen erwies, könnte ihm leicht den Kopf kosten. Immer wieder schaute er sich misstrauisch um, doch wie es schien interessierte sich niemand für ihn. Er fuhr nicht direkt auf die M4 nach Bristol, machte unnötige Umwege durch die Stadt, um allfällige Verfolger abzuschütteln. Mit der Zeit beruhigte er sich ein wenig, gerade genug, um Alex anzurufen und einigermaßen vernünftig mit ihr zu reden.
»Du kannst deinen Flieger zurückrufen«, sagte er zur Begrüßung.
»Hast du getrunken? Du klingst so eigenartig.«
»Ich hätte mich besser volllaufen lassen, als den Killer von Dr. Chen auf mich zu hetzen.«
Es blieb still am andern Ende. Sie sagte auch lange nichts, nachdem er ihr das Desaster geschildert hatte. Schließlich fragte er ratlos: »Nun, was schlägst du vor?«
»Ich – verdammter Mist!«
Gut, sie regte sich wenigstens auf. »Dachte ich auch«, meinte er trocken.
»Du musst hierherkommen.«
»Kommt nicht infrage. Wie stellst du dir das vor? Ich habe hier zu tun und überdies kann ich Jessie jetzt nicht allein lassen.«
»Solltest du aber. Noch wissen die nichts von ihr.«
Der gleiche Gedanke war ihm auch gekommen, sobald er sie erwähnt hatte. »Das Ganze widert mich dermaßen an, ich könnte kotzen, weißt du? Diese Leute schrecken vor nichts zurück. Hätte ich das geahnt ...«
»Was, dann hättest du einfach den Schwanz eingezogen und die nächste Gleichung gelöst?«, platzte sie aufgebracht heraus.
Du kannst mich mal, dachte er wütend, doch er sagte nur: »Ich muss jetzt auflegen.«
Sollte sie sich weiter mit dieser China Connection herumschlagen. Er würde sich die nächsten Tage damit begnügen, zu überleben.
Fort Meade, Maryland
Bob befand sich nicht im ›Building‹. Alex versuchte zum dritten Mal, ihn über die sichere Handyverbindung zu erreichen. »Geh ran, verdammt!«, schnaubte sie aufgewühlt. Ihre Welt glich zunehmend einem Trümmerfeld. Der seidene Faden zur China Connection gerissen, Gold-Taskforce zurück auf Feld eins, Ryan in akuter Gefahr – welche Hiobsbotschaft kam als nächste? Sie hegte keine falschen Hoffnungen: Li und seine Mafia mussten nun annehmen, dass sie und Ryan hinter ihnen her waren. Um sich selbst sorgte sie sich nicht, aber Ryan könnten die Kerle leicht aufspüren und wie eine lästige Mücke zerquetschen. Es war alles ihre Schuld. Weshalb um alles in der Welt war sie nicht mit dem Jet nach London geflogen? Dann könnte sie wenigstens ein Auge auf ihn haben. »Scheiße!«
»Was ist los?«
»Bob, endlich«, brüllte sie ins Telefon. »Wo bist du? Wir müssen reden, dringend. Wir haben ein Problem.«
»Scheint so. Schieß los.«
Den Tod des Dr. Chen nahm er schweigend zur Kenntnis, sobald sie aber Ryan erwähnte, unterbrach er sie aufgeregt: »Sag nicht, dass du diesen Eierkopf für uns eingespannt hast!«
»Ich dachte ...«
»Verflucht, Alex!«, brauste er auf. »Bist du vollkommen verrückt geworden?«
»Tut mir leid«, war alles, was ihr dazu einfiel.
»Es tut ihr leid. Ich sage dir, was du dabei gedacht hast. Nichts hast du gedacht. Das ist mehr als eine Panne, das ist – ein gottverdammtes Fiasko!« Er musste erst Atem holen, bevor er weiterbrüllte: »Wenn die deinen ›Brit‹ finden, brauchen sie fünf Minuten, bis er redet wie ein verfluchter Wasserfall. Dann
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