Im Winter der Löwen
Er schloss die Tür auf und blieb eine Weile auf der Schwelle stehen.
»Larissa?«, sagte er leise.
Keine Antwort. Er ging ins Wohnzimmer, ließ sich auf das Sofa sinken und betrachtete eine Weile den kleinen Tannenbaum am Rand der Fensterwand. Er versuchte, sich auf Patrik Laukkanen zu konzentrieren. Auf die Ahnung eines Mordmotivs. So hatte Sundström es formuliert. Es war eine effektive Ermittlung in Gang gesetzt worden, es gab ein schlüssiges Szenario und verwertbare Spuren, aber nicht das, was in den meisten Fällen frühzeitig mindestens als Möglichkeit zutage trat – es gab keinen Hinweis auf die Beweggründe des Täters.
Joentaa starrte auf den Bildschirm des Fernsehers, auf die Silhouette seines eigenen Körpers, die sich darin spiegelte, und er hörte ein leises Knirschen und spürte einen kühlen Luftzug, als die Haustür geöffnet wurde. Er saß reglos und hielt den Atem an. In der Küche wurde der Kühlschrank geöffnet. Das Klingen eines Glases. Das Rauschen von Wasser. Nach einer Weile lang gezogene Atemzüge. Ein Mensch, der atmete. In seinem Haus. Er wartete.
»Hallo, Kimmo«, sagte Larissa.
Er wendete sich um und sah sie im Türrahmen stehen. Ihre Stimme klang verändert. Fremd und vertraut.
»Hallo …«, sagte Kimmo.
»Ich bin ziemlich müde«, sagte sie. »Ich denke, dass ich bald schlafen gehen werde.«
»Sicher«, sagte er.
Sie streifte ihre Jacke ab, setzte sich auf die Lehne des Sessels und sah ihn an.
»Alles … alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie nickte, stand auf und zog ihre Kleider aus. Legte sie sauber gestapelt neben ihn auf das Sofa.
»Schön …«, sagte Joentaa.
Sie sah ihn fragend an.
»Schön, dass du da bist.«
Sie sah ihn an, und er konnte den Blick nicht deuten.
»Schlaf gut, Kimmo«, sagte sie. Sie ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür, ohne nochmal zurückzublicken.
27. Dezember
17
Als Joentaa erwachte, wusste er nicht, wo er war. Nach einigen Sekunden fand er die Orientierung. Er saß auf dem Sofa im Wohnzimmer, die Ziffern auf dem DVD-Player zeigten 6.38 Uhr an. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und dachte an Tuomas Heinonen, der am Nachmittag losgefahren war, um eine Liste von Personen in Patrik Laukkanens Umfeld abzuarbeiten. »Wünsch mir Glück«, hatte er gesagt, bevor er das Büro verlassen hatte. Er hatte damit wohl nicht auf die Befragungen angespielt, die vor ihm lagen. Danach hatte Kimmo ihn nicht mehr gesehen.
Er richtete sich auf und ging zum Fernseher. Er nahm die Fernbedienung und schaltete ein. Während das Bild Gestalt annahm, versuchte er, sich daran zu erinnern, was Tuomas gesagt hatte. Manchester. Auswärtssieg.
Er aktivierte den Videotext. Er spürte ein Kribbeln, während er die Ziffern für die Sportseiten eintippte. Die zweite Überschrift galt dem Gipfeltreffen in der englischen Liga. Drei beide. Unentschieden. Der Ausgleich für Arsenal war in der fünften Minute der Nachspielzeit gefallen.
Joentaa setzte sich im Schneidersitz vor den Fernseher und las den Text, der von einem der spektakulärsten Spiele der Saison berichtete. Er dachte an Heinonens verschleierten, gehetzten Blick.
Vermutlich war es gut so. Tuomas musste verlieren, um zur Besinnung zu kommen. Joentaa wusste nicht viel über die Psychologie des Spielens, aber immerhin genug, um zu wissen, dass der Sog des Gewinnens die eigentliche Katastrophe einleitete. Als er mit Sanna vor einigen Jahren in Frankreich gewesen war, hatte er in einer Diskothek einen Roulette-Tisch entdeckt und wenige Stunden benötigt, um das Urlaubsgeld zunächst zu verdreifachen und anschließend komplett zu verspielen.
Er erinnerte sich an das niederschmetternde Gefühl.
An Sannas fragende, enttäuschte Blicke. An die Wut, die sie unterdrückt hatte, weil sie Mitleid und ausreichend Humor gehabt hatte, um das Lustige an der Sache zu erkennen.
Er vermutete, dass nur Niederlagen Tuomas helfen würden und fragte sich gleichzeitig, welchen Preis er zahlte. Er musste Tuomas fragen, um welche Summen es ging.
Als sein Handy klingelte, war er sicher, dass es Tuomas sein würde. Während er in seinem Mantel kramte, dachte er darüber nach, wie er ihn dazu bringen könnte, das Spiel zu beenden.
Es war Sundström.
»Jetzt wird die Sache lustig«, sagte er.
Joentaa wartete.
»Harri Mäkelä«, sagte Sundström.
»Wer?«, fragte Joentaa.
»Puppenbauer«, sagte Sundström.
Sundström schwieg, als sei alles gesagt, und Kimmo Joentaa spürte einen Schwindel hinter der
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