Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
Konto nicht mehr antaste«, sagte Heinonen.
    »Das … ist gut.«
    »Ich selbst habe diesen Vorschlag gemacht. Ich habe ihr eine alleinige Vollmacht erteilt«, sagte Heinonen. »Paulina war dankbar, seitdem vertragen wir uns wieder.«
    Joentaa nickte. »Das ist …«
    »Meine Eltern haben mir eine Dreizimmerwohnung vererbt. In Hämeenlinna. Ziemlich schön gelegen. Habe ich kürzlich verkauft. Das Geld ist auch schon wieder zur Hälfte weg, der Rest liegt zwischen zwei Buchdeckeln in meinem Arbeitszimmer.«
    Joentaa schwieg. Er versuchte, in Zahlen zu denken. Drei Zimmer. Hämeenlinna. Hälfte weg. Heinonen schien seine Gedanken zu lesen.
    »Möchtest du Zahlen hören?«, fragte er.
    Joentaa wartete.
    »73 457 Euro.«
    Joentaa nickte.
    »Das ist die exakte Zahl, ich habe genau Buch geführt. Interessiert es dich, dass ich am Anfang gewonnen habe? Gleich mein erstes Spiel. Wigan gegen Chelsea. Riesenquote. Chelsea mit B-Mannschaft, weil nur FA-Cup und jede Menge anderer wichtiger Spiele. Dreier-Kombi mit zwei Favoritensiegen, Faktor 22, aus tausend Euro wurden 22 400. Verstehst du?«
    Joentaa nickte, obwohl er nicht verstand.
    »Es fing wirklich gut an«, sagte Heinonen. Joentaa dachte an Sanna und an ihr gequältes Lächeln, nachdem er das Urlaubsgeld verspielt hatte. Das Gefühl der Ohnmacht, des Versagens, und dann ein Gefühl der Befreiung, weil sie begriffen hatten, dass es nicht wichtig war. Weil es Wichtigeres gab.
    Heinonen ließ den Blick über die Ziffernfolgen in seinem Notizbuch gleiten.
    »Du musst damit aufhören«, sagte Joentaa.
    »Sicher«, sagte Heinonen, ohne den Kopf zu heben.
28
    Kai-Petteri Hämäläinen erwachte in dem Gefühl, traumlos geschlafen zu haben. Er ging die Treppe hinunter und hörte schon die hellen Stimmen von Lotta und Minna. Sie saßen am Tisch und schaufelten Cornflakes in sich hinein. Irene stand am Rand und lächelte.
    Er duschte, rasierte sich, zog sich an und gab Irene einen Kuss auf die Wange, bevor er dem neuen Tag entgegenfuhr. Der Glaskasten im hellen Licht des Winters. Er fuhr mit dem Aufzug in den elften Stock. Tuula kam auf dem weiten, grauen und blauen Flur mit einem breiten Lächeln auf ihn zu und rief, dass sie den Tangokönig getoppt hätten.
    Zusammenzustoßen mit einem Elch, dachte er. Verdammtes Pech. Verdammtes, unsinniges Pech.
    »Vierzig Prozent«, sagte Tuula. »Das Mädchen war der Glücksgriff.«
    Er nickte.
    »Das ist der beste Wert seit Niskanen«, sagte Tuula.
    Er nickte. Niskanen, der finnische Langläufer, der aus dem tief verschneiten Wald zurück ins Fernsehbild gelaufen war. Mit einem zweifach zerbrochenen Ski unter dem Arm. Verdammtes, unsinniges Pech. Ein doppelter Skibruch im Rennen um den Weltmeistertitel. Drei Tage später war Niskanen des Dopings überführt worden und hatte mit merkwürdig tonloser, unbeteiligter Stimme mitgeteilt, dass er seinen Ski selbst in Teile gebrochen habe, im Wald, an der Stelle, an der das Netz der Fernsehkameras eine Lücke aufwies. Um aus dem Rennen auszuscheiden und eine Dopingprobe zu vermeiden. Die Analyse einer Probe, die bereits im Vorfeld der Weltmeisterschaft genommen worden war, hatte Niskanen dennoch überführt.
    Den anschließenden Auftritt des besten finnischen Langläufers bei Hämäläinen hatte fast jeder zweite Finne am Fernseher verfolgt. Hämäläinen konnte sich an den Inhalt des Gespräches nicht mehr erinnern, er wusste nur, dass er Niskanens zaudernde Sprachlosigkeit als Zumutung empfunden hatte. Die Kritiken waren gut gewesen. Man hatte ihm hoch angerechnet, dass er Niskanen keine Gelegenheit gegeben hatte, sich aus der Sache herauszureden. Hart und, wie er fand, streng sachlich war er mit dem gefallenen Helden umgegangen. Ein wenig wie ein Strafrichter, hatte Irene am Abend gesagt, und er hatte geahnt, dass sie Recht hatte, aber es nicht eingestanden und ihre Bemerkung im Raum stehen lassen.
    »Du warst gut«, sagte Tuula.
    Er nickte.
    »So gut wie lange nicht.«
    »Danke dir«, sagte er und ging in sein Büro, einen Glaskasten im Glaskasten. Über ihm hing der winterblaue Himmel, unter ihm wuselten kleine Menschen über Spielzeugstraßen. Er sah eine Weile auf sie hinab und dachte an Niskanen. Was er wohl so machte? Ob er noch in dem schönen Haus wohnte, das ihm der finnische Staat für außergewöhnliche sportliche Leistungen geschenkt hatte? Oder war die Schenkung rückgängig gemacht worden, nachdem Niskanen des Dopings überführt worden war? Er konnte sich nicht erinnern. Er wusste

Weitere Kostenlose Bücher