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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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zu Zeit die Schläuche, die ihn umgaben, mit Flüssigkeiten, und er fragte Irene, ob sie sich an Niskanen erinnern könne.
    »Den Langläufer?«
    Er nickte.
    »Natürlich«, sagte sie.
    »Weißt du, was er heute macht?«
    »Was meinst du?«, fragte Irene.
    »Was aus ihm geworden ist.«
    Irene verneinte und fuhr nach Hause. Zu den Zwillingen und zu Mariella, ihrer Schwester, die so nett gewesen war, die Kinder zu betreuen.
    An einem Tisch sitzen. Einen Kaffee trinken. Einen Korridor entlang gehen. Ein Schatten, ein Stich. Ein taubes, feuchtes Gefühl im Unterleib. Ein nach innen gerichteter Schmerz.
    Irene hatte ihn flüchtig auf den Mund geküsst, bevor sie gegangen war, und der Arzt kontrollierte ab und an diverse Apparaturen.
    »Schlafen Sie gut«, sagte er schließlich.
    »Sie auch.«
    Eine junge Schwester leerte die Bettpfanne, eine ältere kontrollierte die Verbände.
    Er solle nichts weiter tun als auf dem Rücken zu liegen, und das nach Möglichkeit, ohne sich nach rechts und links zu bewegen, hatte der Arzt früher an diesem Tag gesagt.
    Er hatte auf dem Rücken gelegen, ohne sich zu bewegen, und den Arzt, der Apparaturen kontrollierte, gefragt, ob er sich an Niskanen erinnern könne.
    »Den Langläufer?«, hatte der Arzt gefragt.
    »Ja«, hatte er geantwortet.
    »Sicher«, hatte der Arzt gesagt.
    »Wissen Sie, was er heute macht?«
    Der Arzt hatte verneint.
    Er fragte sich, welche Konserve sie gesendet hatten. Um 22 Uhr. Vielleicht auch erst um 22.15 Uhr, wenn es an diesem Abend einen Themenschwerpunkt in den Nachrichten gegeben hatte. Was er vermutete, stark vermutete. Vielleicht hatten sie daran anschließend das Interview mit Niskanen gesendet. Es lag lange genug zurück, um wiederholt zu werden.
    In angrenzenden Räumen schrien Menschen. So laut, dass er es hören konnte. Er sah Schwestern und Ärzte an seinem Fenster vorbeihuschen. In die eine, dann in die andere Richtung. Er hörte Diskussionen, die geführt wurden, aber es gelang ihm nicht, sich auf die Worte zu konzentrieren. Die Worte schwebten über ihm.
    »Heute ist einiges los«, sagte die jüngere Schwester, als sie einen der Schläuche nachfüllte.
    »Ist schon Nacht?«, fragte er.
    »Eher früher Morgen. Drei Uhr.«
    Er fragte sie, ob sie sich an Niskanen erinnern könne, den Langläufer.
    »Ja«, sagte sie. »Den kennt doch jeder.«
    »Wissen Sie …«, begann er.
    »Ja?«
    »Ach. Nichts weiter«, sagte er.
37
    Kimmo Joentaa nahm die DVD aus dem Laufwerk, schaltete den Computer aus, ließ die Rezeptionistin stehen und ging auf sein Zimmer. Er ließ sich auf das glatte, weiße Bett sinken und dachte eine Weile nach.
    Er zögerte noch kurz, dann rief er die Auskunft an, hatte aber mit seiner Anfrage keinen Erfolg. Er nahm die Telefonliste aus seinem Rucksack, auf der die Nummern der zentralen Ermittler verzeichnet waren. Er fand drei Nummern neben dem Namen Westerberg, die dienstliche, die mobile und die private. Er wählte die private.
    Westerberg nahm nach wenigen Sekunden ab und klang wesentlich wacher als tagsüber. Joentaa erklärte, worum es ging.
    »Vaasara. Der Assistent des Puppenbauers?«, fragte Westerberg.
    »Genau. Hast du die Nummer? Er lebte mit Mäkelä zusammen, aber weder unter Vaasara noch unter Mäkelä gibt es einen Eintrag im Telefonbuch.«
    »Hm«, sagte Westerberg. »Moment.«
    Joentaa hörte eine ferne Frauenstimme und Rascheln, und Westerberg murmelte etwas, das nicht für ihn bestimmt war. Dann war er wieder in der Leitung. »Ich hab’s gleich«, sagte er.
    »Bestens.«
    »Hm. Also, schreibst du mit?«
    Joentaa holte einen Stift und notierte die Nummer, die Westerberg ihm diktierte.
    »Danke dir«, sagte er.
    »Keine Ursache. Sag mal, Kimmo, warum …«
    »Bis morgen«, sagte Joentaa und unterbrach die Verbindung. Er hatte keine Zeit, für Westerberg einen Gedanken auszuformulieren, der ihm selbst ständig entglitt.
    Er wählte die Nummer, die auf dem Zettel stand, und wartete. Er ließ es minutenlang klingeln. So lange, bis Vaasara abnahm.
    »Ja … hallo …«
    »Hier spricht Kimmo Joentaa von der Kriminalpolizei in Turku. Ich war mit zwei Kollegen bei Ihnen …«
    »Ja …«
    »Ich muss Sie etwas fragen, etwas, das mir wichtig erscheint, deshalb rufe ich so spät in der Nacht an.«
    »Ja …«
    »Es geht um die Puppen.«
    »Ja …«
    »Es geht um den Entstehungsprozess. Ich möchte wissen, was dem Puppenbauer als Vorlage dient.«
    »Als Vorlage?«
    »Ja.«
    »Ich … entschuldigen Sie, aber ich …« »Was dient

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