Im Winter der Löwen
schweiften wieder ab, während Sundströms Stimme einen veränderten Klang annahm. Er sprach mit Nurmela. Machte ihn in streng sachlichem Ton mit dem Stand der Dinge vertraut. Von Zeit zu Zeit zwinkerte er Joentaa zu, vermutlich, um ihm zu signalisieren, dass er nur vorübergehend so wichtig und ernsthaft tat und gleich wieder zu Scherzen aufgelegt sein würde.
Joentaa dachte an Larissa.
An den kleinen Baum im Dunkel.
Sundström beendete sein Gespräch mit Nurmela und sagte: »Was für ein alberner Mist. Die Leute achten einfach auf nichts mehr. Von den Heinis aus diesen Ausflugsgruppen konnte bislang keiner irgendwas beisteuern.«
Joentaa nickte.
»Und die Mitarbeiter, die die Gruppen betreut haben, haben die Personalien der Teilnehmer nur halbherzig abgefragt. Haben einfach die Gruppe am Empfang angemeldet, und das war’s. Da hätte sich jeder dazustellen können. Wenn wir einen Außenstehenden suchen, ist er mit den Ausflüglern mühelos reingekommen und vermutlich im Chaos um den am Boden liegenden Hämäläinen rausmarschiert.«
»So etwas kann man kaum planen«, sagte Joentaa.
Sundström starrte ihn an.
»Es wirkt zwingend, aber es ist nicht planbar«, sagte Joentaa. »Dass niemand in dieser Halle ist, ist Zufall. Der Täter geht ein ungeheures Risiko ein. Er attackiert Patrik mitten am Tag. Harri Mäkelä auf offener Straße. Und Hämäläinen in einem riesigen, von Menschen angefüllten … Glasturm.«
»Ich weiß gar nicht, was du hast. Hat doch alles bestens funktioniert«, sagte Sundström.
»Es wirkt zwingend, aber es kann keiner bewussten Planung entspringen«, sagte Joentaa. »Und noch etwas wundert mich.«
»Nämlich?«, fragte Sundström.
»Dass Hämäläinen noch lebt.«
Sundström nickte.
»Gestört wurde der Täter offenbar nicht. Warum hat er … es nicht zu Ende geführt?«, sagte Joentaa.
Sundströms Handy klingelte. Er nahm ab und verzog sofort das Gesicht. Vermutlich nochmal Nurmela. Sundström sprach mühsam beherrscht und referierte den geplanten Ablauf des nächsten Tages. »Ja«, sagte er nach einer Weile. »Natürlich. Wie du weißt, mache ich diese Arbeit auch schon seit einigen Jahren. Ja. So ist es. Es ist mir herzlich egal, wie du das findest …«
Joentaa nahm sein Handy und wählte seine eigene Nummer. Er erreichte die Standardansage des Herstellers. Larissa war nicht da oder sie schlief oder sie nahm nicht ab. Er versuchte es ein zweites Mal. »Bis morgen«, sagte er am Ende und unterbrach die Verbindung.
Auch Sundström hatte sein Gespräch beendet. Er murmelte Flüche vor sich hin. Dann lehnte er sich abrupt zurück, wirkte plötzlich entspannt und sagte, dass er gemeinsam mit Marko Westerberg bereits Hämäläinens Verbleib geregelt habe.
Joentaa sah ihn fragend an.
»Hämäläinen muss weg. Wenn dem was passiert, können wir alle einpacken und auswandern.«
Joentaa nickte.
»Wir bringen ihn nach Nordfinnland, sobald er das Krankenhaus verlassen kann. Weg von der Bildfläche. Seine Familie kann mitkommen. Zwei Beamte sichern schon jetzt Hämäläinens Haus und passen auf, dass der Frau und den Töchtern nichts passiert.«
»Hast du schon mit ihm darüber gesprochen?«, fragte Joentaa.
»Mit wem worüber gesprochen?«, fragte Sundström.
»Mit Hämäläinen. Über Nordfinnland.« »Da gibt es nichts zu besprechen«, sagte Sundström. »Sag mir lieber, was du gedacht hast.«
»Hm?«
»Dein abseitiger Gedanke. Möchtest du ihn teilen?«
»Äh …«
»Du erinnerst dich doch, oder? Du sagtest was von einem abseitigen Gedanken.«
»Ja. Ich weiß nicht, ob ich ihn in Worte bringen kann.«
»Du liebe Güte«, sagte Sundström.
»Ich dachte … an Patrik. Wie wir ihn … vorgefunden haben. Ich dachte sofort, dass es nicht stimmt. Ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat.«
Sundström sah ihn forschend an.
»Verstehst du?«, fragte Joentaa.
»Ich bemühe mich«, sagte Sundström.
»Der Schlüssel ist die Sendung. Das Gespräch, das die drei geführt haben«, sagte Joentaa.
Sundström schwieg.
»Ich glaube, dass wir ein rationales Motiv nicht finden werden, deshalb zielt alles, was wir im Moment tun, ins Leere.«
Sundström sah an ihm vorbei und schien einen fernen Punkt zu fokussieren.
»Ich habe die DVD dabei«, sagte Joentaa. »In meinem Rucksack. Ich könnte mir das Interview noch mal ansehen.«
»Mach das«, sagte Sundström und stand auf. »Wir sehen uns morgen früh. Um sieben beim Frühstück. Um acht Fortsetzung der Befragungen im
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