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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Vaasara.
    Joentaa unterbrach die Verbindung.
    Er legte das Handy auf den Nachttisch und saß lange auf dem Bett.
    Er dachte an das Gesicht, das er gesehen hatte.
    Das Gesicht eines Toten, der kein Gesicht hatte.
    Das Gesicht eines Toten, der keiner war.
    Er dachte an die fremde Frau mit den strohblonden Haaren in seinem Haus und verstand nicht, dass er sie vermisste.
    Irgendwann schloss er die Augen und sank Sekunden später in einen Schlaf, der ebenso vage war wie der Schmerz und der Schwindel hinter seiner Stirn.

29. Dezember
38
    Kimmo Joentaa erwachte mit Schüttelfrost und in dem Gefühl zu wissen, was zu tun sei. Er ging hinunter in den Frühstücksraum. Sundström saß in Gedanken versunken vor einer Kaffeetasse und einer Schüssel mit Cornflakes.
    »Guten Morgen«, sagte Joentaa und setzte sich neben ihn.
    »Morgen«, sagte Sundström.
    »Ich möchte, dass wir die Ermittlung neu ausrichten«, sagte Joentaa.
    Sundström hob den Blick.
    »Ich glaube, dass es kein rationales Motiv gibt, sondern ein assoziiertes«, sagte Joentaa. »Es hat mit der Fernsehsendung zu tun.«
    »Sprich weiter«, sagte Sundström.
    »Ich glaube, dass der Täter die Sendung als … traumatisch empfunden hat, als … eine Art Angriff auf seinen Seelenfrieden. Das würde die Wut erklären, die zugrunde zu liegen scheint.«
    Er suchte nach Anzeichen von Spott oder Skepsis in Sundströms Blick, aber er fand keine.
    »Ich weiß noch nicht, wie es zusammenhängt, aber es muss mit den Puppen zu tun haben und der Art und Weise, in der über sie gesprochen wurde.«
    »Puppen, Kimmo, Puppen.«
    »Ja, aber für einen nicht. Nehmen wir an, dass einer etwas anderes gesehen hat. Vielleicht einen Menschen, den er verloren hat. Um den er trauert.«
    Sundström schwieg lange und begann nach einer Weile, seine Cornflakes zu essen. Dann legte er den Löffel ab und sagte: »Komische Idee.«
    »Ich weiß«, sagte Joentaa. »Aber ich glaube daran.«
    »Glauben.«
    »Ich habe gestern Nacht noch mal die DVD gesehen. Und anschließend mit Vaasara telefoniert, Mäkeläs Assistenten.«
    »Und?«
    »Er hält die Idee für abwegig.«
    »Ah.«
    »Dennoch …«
    »Kimmo, ich habe die Sendung auch gesehen und weiß, dass diese Puppen einfach nur Pappkameraden waren. Filmleichen. Requisiten. Kunststoff.«
    »Du verstehst nicht, was ich sagen will.«
    »Nicht ganz.«
    »Ich möchte die Datenbanken mit Fotos sichten, die Mäkelä angelegt hat«, sagte Joentaa.
    »Warum?«
    »Vaasara sagte, dass er eine Menge an … Recherche-Fotos gesammelt hatte.«
    »Ja, ja. Aber warum möchtest du die ansehen?«
    »Ich weiß nicht.«
    Sundström senkte den Blick auf seine Cornflakes. »Das ist eine typische Kimmo-Joentaa-Begründung – ich weiß nicht.«
    »Du bestätigst selbst, dass das Interview eine Schlüsselrolle spielt. Und im Mittelpunkt dieses Interviews standen die Puppen.«
    »So weit stimme ich zu, aber ich verstehe deine Theorie nicht.«
    »Hast du eine bessere?«
    »Ich habe momentan gar keine.«
    »Also …«
    »Was mich übrigens guter Dinge in die Pressekonferenz gehen lässt. Ich werde vermutlich den ganzen Vormittag brauchen, um mich auf diesen Quatsch vorzubereiten.«
    Kimmo stand auf. »Bis später. Ich gehe schon los.«
    »Kimmo, warte mal …«
    Joentaa lief schnell durch den Frühstücksraum in die Eingangshalle. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, dass Sundström kopfschüttelnd seine Flakes betrachtete.
    Er ging durch die Halle und dachte über Sundström nach, der seit dem Attentat auf Hämäläinen merkwürdig passiv wirkte und zum ersten Mal, seitdem Joentaa mit ihm zusammenarbeitete, von einer Situation überfordert zu sein schien. Er musste vermutlich erst seinen abhanden gekommenen eigenwilligen Humor wieder entdecken, um die gewohnte Effektivität zu entwickeln.
    Auf Höhe des Ausgangs hielt er inne und zog, einem Impuls folgend, sein Handy aus der Manteltasche. Er wählte seine eigene Nummer und hörte nach einigen Sekunden eine fremde Stimme, aber sie klang nicht wie die Standardansage des Anrufbeantworters und sagte auch nicht denselben Text auf.
    »Äh … hallo?«
    »Ja, bitte?«
    »Wer … wer ist denn da?«
    »Das sollte ich Sie fragen, denke ich.«
    »Larissa?«
    »Nein.«
    »Mein Name ist Joentaa, und ich bin Eigentümer des Telefons, das Sie gerade in der Hand halten.«
    »Ah, Sie sind das.«
    »Richtig. Und ich würde gerne mit Larissa …«
    »Sie ist nicht da.«
    »Aha … und wer sind Sie?«
    »Jennifer. Eine Kollegin.«
    »Ja …

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