Im Winter der Löwen
Mäkelä, der sie archiviert und studiert hatte, um in seinem Beruf das Beste leisten zu können.
Übersichtlich kategorisierte Fotos … jeder Unterordner der großen Kategorie »ToteFürDummys« war mit Buchstaben- und Zahlenfolgen gekennzeichnet, die Joentaa zunächst nicht verstand. 150402NL/AMS . Oder 110300US/NY . Als er auf 201199FIN/TAM stieß, begriff er. Daten, Länder und Städte. Am 20. November 1999 hatte es in Tampere offensichtlich einen Zugunfall gegeben. Vier Bilder dieses Ereignisses hatte Mäkelä in dem Ordner abgespeichert. Ein unnatürlich flacher, auf dem Rücken liegender Körper neben einem zerstörten Speisewagen.
Er fragte sich, wie Mäkelä dieses umfangreiche Archiv hatte aufbauen können. Das Internet ist voll davon, hatte Vaasara gesagt. Drei Puppen. Flugzeug, Zug, Geisterbahn. Spektakuläre Ereignisse. Gebunden an Tage, Jahre und Orte.
»Hier, für Sie«, sagte eine Stimme in seinem Rücken.
Joentaa zuckte zusammen.
»Entschuldigung«, sagte der Kollege. Er reichte ihm einen Stapel CDs. »Ich habe alle Fotos kopiert, falls Sie sie auch in Turku benötigen.«
»Sehr gut, danke«, sagte Joentaa.
Der Kollege nickte. »Die Pressekonferenz beginnt gleich. Ich gehe mal runter.«
Joentaa schaltete den Computer aus, nahm die CDs und legte sie auf den Tisch. Vermutlich würde er die Fotos nicht mehr ansehen müssen. Er hatte eine neue abwegige Idee.
Die Puppen würden ihm helfen müssen.
Die Puppen und die tödlichen Ereignisse, denen sie ihr Dasein verdankten.
41
Irene. Und die Kobolde. Und der junge Arzt, von dem er inzwischen wusste, wie er hieß. Valtteri Muksanen.
Komischer Name. Komischer Tag.
Die Kobolde standen ihm gegenüber und schienen ihn nicht mehr zu kennen. Sie brachten kein Wort über die Lippen, sahen ihn an wie eine Sehenswürdigkeit und kicherten verunsichert.
Ein neues Zimmer. Das Winterlicht brach durch die Scheiben. Von Zeit zu Zeit streckte ein uniformierter Polizist seinen Kopf in den Raum, möglicherweise vermutend, dass die beiden kleinen Mädchen Sprengstoff unter den Röcken versteckt hielten.
Der Arzt mit dem komischen Namen, mit dem er gesprochen hatte, als Irene und die Kinder an die Tür klopften, zog sich zurück, nicht ohne Irene noch einmal aufmunternd zuzunicken und den Kindern die Hand zu geben.
Kai-Petteri Hämäläinen sah Irene an und seine Töchter und dachte an Niskanen. Den er einfach nicht mehr aus seinem Hirn herausbekam. Irene sah dem Arzt nach, der die Tür hinter sich zuzog.
»Man sieht es dem Jungen nicht an, aber er ist hier der Oberarzt«, sagte Hämäläinen, und Irene nickte.
»Valtteri Muksanen. Komischer Name.«
»Findest du?«, fragte Irene.
»Du etwa nicht?«, fragte er.
Sie setzte sich neben ihn, die Kinder schoben sich mit hängenden Armen zentimeterweise voran in seine Richtung.
»Er empfiehlt mir, eine Weile hierzubleiben, sagt aber, dass ich ungeheures Glück gehabt habe und möglicherweise innerhalb der nächsten Tage schon gehen kann.«
»Ja«, sagte Irene.
»Schön, dass ihr da seid«, sagte er.
Stille.
»Kommt doch mal her, Kobolde. Das ist nur Medizin in dem Schlauch da.«
Die Mädchen kamen zum Bett und sahen Hilfe suchend Irene an.
Irene nahm seine Hand und streichelte sie. Er schnitt einige Grimassen, und die Mädchen lachten und rückten noch etwas näher an ihn heran und setzten sich schließlich vorsichtig aufs Bett.
»Hast du was vom Sender gehört? Hat sich Tuula gemeldet? Oder Mertaranta?«
»Ich habe das Telefon ausgestöpselt. Es hat minütlich geklingelt.«
»Ah.« Sein Handy. Er spürte den Impuls, danach zu greifen, aber er sollte sich ja noch mit aller Vorsicht bewegen, und er wusste auch nicht, wo es war. Er musste den Arzt danach fragen.
»Es läuft die Nachrichten rauf und runter«, sagte Irene.
Er nickte. Spürte eine seltsame Zufriedenheit. Die Nachrichten rauf und runter.
»Eine Topmeldung«, sagte Irene leise.
Er schnitt eine weitere Grimasse für die Kinder.
»Wie zerbrechlich alles ist«, sagte Irene.
42
Kimmo Joentaa fuhr mit dem Zug zurück nach Turku. Er bat den freundlichen Kollegen, Westerberg und Sundström auszurichten, dass er bereits abgereist sei.
Sundström würde irritiert sein, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich mit Nebensächlichkeiten zu befassen. Hinter den Scheiben flogen weiße Häuser, Seen und Wälder vorüber. Neben ihm saß ein Junge über einen Laptop gebeugt und spielte ein Computerspiel, dessen Sinn sich Joentaa nicht erschloss. Ein Mann mit
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