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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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nehmen.
    Er dachte an das Studio. Der weinrote Teppich, darauf sein Schreibtisch. Das Licht der Scheinwerfer, der Rundbogen mit den Sitzreihen. Die Kameras. Fragen. Antworten. Die Welt erklären, und einen Kaffee trinken. Oder umgekehrt. An einem weißen Morgen. Ein Stich im Rücken, und Irene schweigt. Und die Kinder spielen Verstecken mit einem Mann, den sie nicht kennen. Und Niskanen hatte abgesagt. Ohne Nennung von Gründen. Beim letzten Versuch hatte er die Verbindung unterbrochen, ohne dem Redaktionsassistenten die Gelegenheit zu geben, seinen vollen Namen auszusprechen. Tuula Palonen hatte es mit demselben Erfolg ein letztes Mal versucht und sich anschließend geweigert, es ein allerletztes Mal zu versuchen. Ein Thema des Jahres war es natürlich gewesen, deshalb würden sie, wie ursprünglich geplant, einen Filmbeitrag bringen. Darin Niskanen, der mitteilt, das Ergebnis der B-Probe abwarten zu wollen.
    Tuula hatte ihm einen Ablaufplan dagelassen, der auf dem Tisch im Wohnzimmer lag. Er verspürte Lust, ein wenig darin zu blättern. Das meiste kannte er schon, das Programm stand, und die kleinen gelben Zettel mit den Fragen, die er stellen würde, lagen sorgfältig gestapelt im Büro. Die Anmoderationen im Teleprompter.
    Er richtete sich langsam auf und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer. Das Haus lag im Dunkel, unten flackerte ein einzelnes Licht. Der Fernseher. Er ging die Treppe hinunter. Der sehr Große saß auf der Lehne des Sessels und sah sich die Talkshow Hämäläinen an.
    Hämäläinen ging leise auf ihn zu.
    »Irgendwie lustig«, sagte der sehr Große und wandte den Blick in seine Richtung. »Sie dort im Fernsehen. Und gleichzeitig hier in diesem Raum.«
    »Haben Sie mich kommen hören?«, fragte Hämäläinen.
    Der sehr Große nickte.
    »Ich bin sehr leise gegangen«, sagte Hämäläinen.
    »Alles eine Frage der Übung«, sagte der sehr Große. »Ich wusste gar nicht, dass die Sendung so spät läuft.«
    »Sie wird immer um 1.30 Uhr wiederholt«, sagte Hämäläinen.
    »Ah«, sagte der sehr Große.
    Hämäläinen sah sich auf dem Bildschirm, seine Lippen bewegten sich. Schnell und unaufhörlich. Hämäläinen auf dem Bildschirm wirkte entspannt und schien sich bestens zu amüsieren, und neben ihm stand der Gerichtsmediziner, an dessen Namen er sich nicht erinnern konnte.
    »Was ist das denn …«, murmelte er.
    »Was sagen Sie?«, fragte der sehr Große.
    »Das ist ja die Sendung mit den Puppen«, sagte Hämäläinen. Der sehr Große folgte seinem Blick und schwieg. Natürlich, dachte Hämäläinen. Einen Tag vor seiner Rückkehr hatten sie die Sendung mit Mäkelä und dem Gerichtsmediziner ausgestrahlt. Die Sendung, mit der irgendwie alles zusammenhing. Tuula hatte das gar nicht mit ihm abgesprochen. Warum auch. Die naheliegende Konserve. Der Gerichtsmediziner lachte, Mäkelä lachte, und der sehr Große fragte: »Soll ich den Ton lauter stellen?«
    »Nein, nein«, sagte Hämäläinen.
    Er ging zum Tisch, auf dem der Ablaufplan bereit lag. Er hatte nur kurz reingesehen, bevor er zu Bett gegangen war. Er setzte sich und begann zu lesen. Die Goldmedaille des Skispringers, die Jahrhundertüberschwemmung in Joensuu und Umgebung. Der europaweite Überraschungshit halbstarker Musiker, der Sex- und Drogenausbruch des konservativen Abgeordneten. Licht und Schatten. Er las, bis die Buchstaben und die Zahlen, mit denen Tuula jedem Themenschwerpunkt Minuten und Sekunden zugeteilt hatte, verschwammen. Er hob den Blick. Seine Augen brannten. Auf dem Bildschirm lief der Abspann. Bleiben Sie uns gewogen. Bis morgen.
    Der sehr Große schaltete den Fernseher aus.
    »Sie sollten versuchen zu schlafen«, sagte er.
    Hämäläinen nickte.
    Der sehr Große ging, und Hämäläinen betrachtete lange den leeren Bildschirm, ohne etwas Bestimmtes zu denken.

31. Dezember
58
    Kimmo Joentaa verschlief einen Teil des Vormittags und fühlte sich bleischwer, als er erwachte.
    Larissa hatte einen Zettel hinterlassen, auf dem Tisch im Wohnzimmer. Frohes neues Jahr, lieber Kimmo, und bis bald.
    Er legte den Zettel behutsam zurück auf den Tisch. Draußen explodierten dumpf verfrühte Feuerwerkskörper.
    Er duschte, zog sich an, kochte einen Tee und versuchte, nach dem Gedanken zu greifen, der da gewesen war im Moment des Erwachens.
    Ein Gedanke, der an Erkki Koivikko gebunden war und an das, was er gesagt hatte. Der Tod unserer Tochter liegt fünfzehn Jahre zurück. Und auf der Bahre im Fernsehen lag ein Mann aus Plastik.
    Er

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