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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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durchsprechen«, sagte Olli Latvala.
    »Gerne«, sagte sie, und Latvala setzte sich neben sie. Sie dachte wieder an Harri Mäkelä, der ihnen diese unmögliche Puppe geschickt hatte. Das ging ja gar nicht. Die hatten sie rausnehmen müssen, am Tag der Sendung, aber Mäkelä hatte immerhin für Ersatz gesorgt. Und am Abend, nach dem zehnten Bier und dem vierten Schnaps, hatte er erklärt, dass es da ein kleines Missverständnis gegeben habe. Vielleicht sollte sie nach oben fahren und sehen, was Joentaa machte. Archivmaterial. Aufnahmen des Publikums.
    »Äh … Tuula, bist du bei mir?«, fragte Olli Latvala.
    »Hm? Ja, klar.«
    »Also … hast du mir zugehört?«
    »Fang noch mal von vorn an, bitte«, sagte sie.
    »Also, die Idee ist ja, dass Kai-Petteri mal das Sofa nutzt, mal die Sitzgruppe, immer dem jeweiligen Thema angemessen«, sagte Latvala. »Und die Skispringer würde ich in jedem Fall auf dem Sofa platzieren, zumal sie ihre Ski mitbringen werden …«
    »Wie bitte?«, fragte Tuula Palonen abwesend.
    »Ihre Ski.«
    »Sie kommen mit ihren Ski auf die Bühne?«
    »Ja, das hat mit Sponsorenverträgen zu tun. Und Kai-Petteri soll auch einige Fragen zur Beschaffenheit der Ski stellen und so weiter, und Sprungski sind sehr lang, deshalb ist die Sitzgruppe mit dem Schreibtisch ungeeignet. Verstehst du?«
    »Klar«, sagte Tuula Palonen.
    »Das Problem ist, dass der nächste Schwerpunkt auch fürs Sofa vorgesehen ist, so dass wir da eine Statik reinbekommen würden, und meinen Vorschlag, dass wir die Skispringer gezielt mit der Handkamera ins Bild setzen, hat die Regie abgelehnt.«
    »Ja«, sagte Tuula Palonen.
    »Rede doch bitte noch mal mit denen.«
    »Mache ich«, sagte Tuula Palonen.
66
    Der Große saß am Steuer, der sehr Große neben ihm auf dem Rücksitz, und der Wintersonnentag begann, der Nachmittagsdämmerung zu weichen. Der Große saß aufrecht und schwieg, der sehr Große saß aufrecht und schwieg. Nichts deutete darauf hin, dass der sehr Gro- ße noch am Vorabend wie ein Kind mit den Zwillingen Verstecken gespielt hatte. Verwandlungskünstler, dachte Hämäläinen, und dann dachte er an den Abend, der näher rückte, und an die spanische Freundin, die er gehabt hatte, in einem lange vergangenen Leben.
    Bis heute fand er einen gewissen Trost in der Vermutung, dass sie ihn wegen des finnischen Winters verlassen hatte und nicht aus anderen, persönlicheren Gründen. Einmal hatte ihn die Spanierin besucht, mit einer Sommerjacke war sie durch den Zoll spaziert, und als sie in der Kälte, im Dunkel auf den Bus gewartet hatten, hatte sie gefragt, ob die Sonne in Finnland immer so früh untergehe. Nur im Winter, hatte Hämäläinen geantwortet, und eine Woche später war sie nach Hause geflogen, um nie zurückzukehren.
    »Ganz schön dunkel draußen«, sagte Hämäläinen, und der sehr Große sah ihn fragend an.
    »Wenn man bedenkt, dass vor einer Viertelstunde noch die Sonne geschienen hat, meine ich«, sagte Hämäläinen.
67
    Sie geht schwimmen. Über dem Eingang steht ›Wellnes-Oase‹, und davor steht ein Mann, der die Uniform des Hotels trägt und sie um ihre Zimmernummer bittet. Sie nimmt den Schlüssel aus dem Bademantel und nennt sie ihm.
    »Willkommen«, sagt der Mann und beginnt, über die verschiedenen Saunen, Dampfbäder und Massage-Anwendungen zu sprechen, aus denen sie wählen kann.
    »Ich möchte nur schwimmen«, sagt sie.
    »Sehr gerne«, sagt er und führt sie zum Pool. Das Wasser plätschert leise und liegt ruhig in schummrigem Licht.
    »Danke«, sagt sie, und der Mann zieht sich zurück.
    Sie zieht den Bademantel aus und legt ihn sorgfältig auf einem der Liegestühle ab. Dann stellt sie sich einige Minuten unter die Dusche. Sie hört ein lautes Platschen, jemand ist ins Wasser gesprungen. Sie tritt aus der Dusche und geht über die kühlen, glatten Fliesen zum Pool. Ein Mann steigt gerade aus dem Wasser und hält inne, als er sie sieht. Er scheint irritiert zu sein, vielleicht, weil sie nackt ist. Sie hat keinen Badeanzug dabei, sie hatte nicht daran gedacht, dass sie hier vielleicht würde schwimmen können.
    »Hi there«, sagt der Mann.
    Sie würde ihm die Sache mit dem Badeanzug gerne erklären, aber sie hat lange kein Englisch gesprochen, und die Worte entgleiten ihr.
    »Hi«, sagt sie nur.
    »See you later«, sagt der Mann und geht, und sie lässt sich ins Wasser gleiten.
    Sie taucht unter und lässt sich von dem kalten, schweren Blau einhüllen wie von einer Decke, bis das Leben sie an

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